Walter Moers Werke schaffen es, mich an die schönsten Kindheitsstunden zu erinnern (die Welt von Zamonien ist mindestens so spannend wie Hogwarts). Der Moment, in dem man einen Buchdeckel aufklappt. Du hoffst darauf, dass das Buch dich nach zwei Zeilen bereits in seinen Bann zieht, der Deckel über dir zuklappt, du im Buch bist und ganz sicher für die nächsten Stunden von nichts auf der realen Welt, der zu entfliehen es sich häufiger lohnt als dort zu verweilen, erreicht werden kannst. Was habe ich mir anhören müssen, ob ich taub sei, erst heftiges Rütteln trennte mich aus der Buchwelt und schoss mich in die Realität zurück.
Natürlich war ich nicht taub. Ich lauschte lediglich lieber allem, was im Buch geboten war. Was habe ich meine Kinder um Harry Potter beneidet! All die großartigen Kinderbücher der Neuzeit las ich mit ihnen und hatte die gleiche Freude, als wäre ich selbst Kind und fand es absolut selbstverständlich, dass sie damals mit Hexenhut und kostümiert um sechs Uhr morgens vor dem Buchladen standen, da wurde sondergeöffnet für die neuesten Bände der Reihe aus Hogwarts. Abends waren sie endlich durch, egal wie dick der Band war. Und dann kam die Nacht und meine Lesezeit, gggrrr, so lange warten.
Die Kinder kamen regelmäßig zu Besuch zu mir auf die Buchmesse, Jahre stand ich dort für die Verlage, für die ich lektorierte. Wir besuchten unsere Lieblingskinderbuchverlage. Wir denken gern daran, als Jean Claude Lin vom Verlag Freies Geistesleben bemerkte, dass die Kinder durch seinen Stand gingen und sagten „Das haben wir auch“, „das war sooo ein tolles Buch“ oder „das möchte ich wieder mal lesen“ und „guck mal, das haben wir noch nicht“. Er sprach die Kinder an, ob sie denn wirklich all diese Bücher gelesen hätten. Entrüstung! Natürlich! Und wie ein Springbrunnen berichteten sie. Das freute ihn riesig und sie waren stolz, dass sie ein Sudokubuch geschenkt bekamen. Das war damals gänzlich unbekannt und heute kennt es jeder. Die Bücher von Urachhaus und Geistesleben sind jeden Tag in meiner Arbeit eine Empfehlung für Familien, vor allem die Werke von Rosemary Sutcliff.
Bücher sind ein Paradies. Die größte Enttäuschung: wenn es schlecht geschrieben ist. Langeweile aufkommt. Man merkt, dass der Autor am Ende keine Ideen mehr hatte und das Projekt nur noch beenden wollte. Wechsel im Leben des Autors merkt man dann, wenn sich die Sichtweise der Protagonisten plötzlich verändert und keiner weiß weshalb. Hässliche Titelbilder, schlechte Bindung, grusliger Buchsatz mit Schusterjungen und Hurenkindern, wie es heute üblich leider üblich ist. Bücher, deren Rücken zerfallen nach drei Mal aufmachen. Farbige Umschläge, die das Auge foltern. Über all diese Äußerlichkeiten lässt sich notfalls hinwegsehen (es kommt nicht immer wie einst bei Suhrkamp darauf an, dass die Buchrücken einen Farbkreis ergeben müssen oder – schlimmste aller Qualen! – dass Bücher aus dem gleichen Themenfeld leider massiv unterschiedliche Höhen haben und so die Sortierung wahrhaft ein komplexes Unterfangen ist – alphabetisch? Inhaltlich? Nach Höhe?), aber nicht über einen schlappen Inhalt.
Dass wir alle jeden Tag unsere Form haben oder eben nicht haben, liegt in der Natur der Sache. Schreiben ist eine einsame Tätigkeit, obwohl ich natürlich erlebe, wie Autoren heute manchmal vorgehen. In 14 Tagen ist ein Buch geschrieben, weil es „geistig“ schon 20 Jahre bewegt wird. Manchmal denke ich – wie wäre das Buch geworden, wenn es 14 Monate oder 14 Jahre gewachsen wäre?
Manchmal werde ich gefragt, warum ich kein Buch schreibe. Nun, ich habe so viele Bücher geschrieben, was kaum einer weiß. Im Lektorat erlebt man vieles und als Ghostwriter ebenfalls. Das bleibt im Verborgenen und ist gut so. Vielleicht kommt das noch, das Leben liegt mit seinen Möglichkeiten täglich neu mit 24 Stunden vor mir. Bis dahin stelle ich mir jeden Tag den Wecker auf 12 Minuten für meinen Blogeintrag. Und weil er gerade geklingelt hat, die Zeit also um ist, gibt es heute nur noch eines zu tun: einen Punkt zu setzen und allen einen wunderbaren Venustag zu wünschen. Was würde die Liebe heute tun?
Steffi hat dieses herrliche betropfte Blatt im Wald gefunden. Regen, ein Versprechen der nächsten Tage, wie ich hoffe.