Die ersten Ferien seit dem Sommer sind da. Ich sehe diese Woche also viele Jugendliche und ihre Sorgen sind nicht die kleinsten. Von Essstörung bis Ritzen, von Depression bis restlose Verweigerung, auf irgendeine Ansage der Eltern zu reagieren ist alles dabei. Eltern verzweifelt, Kinder verzweifelt, Geschwisterkinder übelst abgenervt vom Bruder, der Schwester, die alle Aufmerksamkeit zieht und trotzdem nicht klarkommt.
Wir sind oft erste Ansprechpartner und müssen nicht selten, wenn das Problem zu massiv ist, sofort in ärztliche Behandlung weiterschicken. Es wird oft lange zugewartet, ob sich „das gibt“, „zur Pubertät gehört“ oder gar nicht erst im normalen Alltagschaos wahrgenommen wird. Manchmal ist es dann schon zu spät, um mit normalen Aktionen die Kuh vom Eis zu bekommen, haben sich Dinge bereits verfestigt. Deshalb immer wieder: schauen wir genau hin bei unseren Kindern, bei unseren Heranwachsenden, bei den Partnern, den Kollegen. Oft leiden Menschen lange, bis es gar nicht mehr geht und wir die Notwendigkeit bemerken, dass Hilfe kommen muss. Lernen wir wieder das genaue Schauen mit liebevollem Blick auf die Menschen unserer Umgebung. Nehmen wir Not wieder wahr, hören wir hin, wenn jemand Andeutungen macht. Es kommt die dunklere Jahreszeit, da verkriechen sich viele Menschen in ihren Wohnungen, die Kinder im Zimmer und dort wird ein regelrechter Kampf ums Leben ausgefochten. Unterstützen wir rechtzeitig mit Fragen, mit Hilfsangeboten. Es ist oft viel schwerer, etwas zu reparieren, als den Anfängen gleich Aufmerksamkeit geschenkt.
Oft genug bedeutet es auch, Eltern klar zu machen, dass Erziehung bedeutet, sich zu engagieren. Nicht nur die Kinder zu ihren zig Terminen zu fahren und einen guten Krippenplatz, eine gute Schule zu finden (was alles sehr wichtig ist), sondern sich mit ihnen auch zu beschäftigen. Je kleiner das Kind, desto intensiver die Beschäftigung, die Präsenz im Leben des Kindes, je jugendlicher, desto wichtiger ist die Kommunikation, das Fragen, das Austauschen, das Zuhören, das Wahrnehmen, womit sich der Jugendliche beschäftigt und mit wem er seine Zeit verbringt. Kinder sind uns anvertraut, meist um die 20 Jahre. Das ist ein überschaubarer Zeitraum, finde ich. Da kann man durchaus Verantwortung übernehmen, damit unsere Kinder dann auch gut aufgestellt in ein gutes Leben gehen und sie gelernt haben, dass sie selbst Verantwortung tragen, dass sie selbst herausfinden, was sie glücklich macht, dass sie begriffen haben, dass es nicht nur ums Nehmen, sondern auch ums Geben geht, das Leben nicht immer lustig ist, Herausforderungen, Frustration, Enttäuschungen Bestandteile ganz normalen Lebens sind und keine Situationen, denen sie schutzlos ausgeliefert sind.
Das setzt voraus, dass die Kinder auch mal Widerstand erfahren, Frust aushalten lernen müssen und nicht alles serviert bekommen, wonach ihnen der Sinn steht. Dass sie auch mal zurückstecken, sich um die kranke Großmutter kümmern und dafür sorgen, dass der Hund nicht zehnmal winseln muss, wenn er Gassi gehen will. Dass sie Geschirr abtrocknen, ihre Hausaufgaben erledigen, nicht nur bespaßt werden, sondern Langeweile geradezu ein Muss der Kindheit ist, damit Kreativität wachsen kann.
Kinder brauchen nicht dauernd Input. Sie brauchen Kinderwagen, in denen sie unter Apfelbäumen stehen. Sie brauchen Sand und Wasser und sonst nichts. Sie brauchen vollkommen freie Zeit, damit sie lernen, sich selbst zu beschäftigen und Zeiten, in denen sie auf Schaukeln stundenlang hängen dürfen und sich hin und her schwingen. Zeiten, in denen sie Kastanienmännchen basteln oder warten, ob man in der Badewanne schrumplige Zehen bekommt. Nicht dauernd Input. Nicht logisches Denken, wenn der Dreijährige Warum fragt. Der will Kontakt, keine Erklärung! Schon gar keine wissenschaftliche Darstellung der Frage nach der Krümmung einer gelbschaligen Frucht!!!!
Kommen wir wieder im richtigen Leben an. Seien wir Vorbilder für die Kinder. Stehen wir ihnen zur Seite, aber räumen wir ihnen nicht immer jeden Weg frei. Sonst haben wir Erbsenprinzessinnen, die bei der geringsten Herausforderung in Tränen ausbrechen und Zauderer, die vor lauter Angst, etwas falsch zu machen, gar nichts mehr tun. Zehnjährige, die einen Therapeuten brauchen, hätten zehn Jahre zuvor vielleicht (nicht in jedem Fall, so pauschal ist das nicht zu verstehen) Eltern gebraucht, die da sind. Eltern, die ermutigt werden, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen. Wir brauchen mehr Ermutigung und auch Ertüchtigung von Eltern, damit sie wieder Eltern werden können. Gute Erziehung ist die beste Gesundheitsprophylaxe, die wir Menschen angedeihen lassen können!
Also, liebe Eltern. Fasst Mut. Stellt euch der maximalen Herausforderung eures Lebens – stürzt euch in das größte Abenteuer. Es nennt sich Erziehung. Es ist der härteste Posten auf dem Planeten. Ihr habt mit dem Kostbarsten zu tun, was es gibt – heranwachsendes Leben. Eure gute Arbeit am Kind ermöglicht es ihm, später eine lebenswerte Welt mitzubauen, in der wir gern leben, lieben und arbeiten. Mit Werten. Mit Idealen. Mit Liebe. Mit Respekt. Achtung. Wertschätzung. Liebe Eltern – traut euch wieder. Wagt es. Wir helfen euch dabei. Damit Würde wieder Bedeutung hat! Damit die Jugendlichen sich nicht aus dieser Welt hungern müssen vor vollsten Töpfen. Weil die Kinder, weil die Welt es absolut wert sind, dass wir ihnen die vollste Aufmerksamkeit schenken. DAS ist eine Investition, die sich in jedem Fall lohnt. Machen wir Fehler. Vergeigen wir Chancen. Scheitern wir ruhig! Und zeigen den Kindern, dass wir aus Fehlern lernen. Uns neue Chancen erarbeiten können. Und aus gescheiterten Situationen wie gerupfte Hühner hervorgehen, aber beim nächsten Mal vielleicht gerade deshalb sehr erfolgreich sind. Seien wir wieder das, wozu wir geboren wurden – Menschen, die mit Herz, mit Hirn und ihrer Hände Arbeit auf und mit diesem Planeten voller Respekt und Liebe leben. Sich die Hand reichen, wenn es nötig ist. Und die klar und ehrlich sagen, was sie denken. Mit Bitte und Danke.
Allen einen kraftvollen Marstag.