Yearly Archives: 2019

Kunst und Kohl

Es ist keine Kunst, ein ehrlicher Mann zu sein, wenn man täglich Suppe, Gemüse und Fleisch zu essen hat.

Georg Büchner

Das Foto des prächtigen Gemüsebeets hat Christoph im Garten des Goetheanums in Dornach gemacht

Mittwochs-Nachdenk-Input

Freundschaften sind wichtig. Manche Menschen begleiten uns seit Kindertagen, manche verlieren wir unterwegs, weil die Wege des Lebens zu unterschiedlich werden. In allen Phasen können wir neue Freundschaften schließen. Was ist ein Freund? Vielleicht schildert das der Fuchs im Kleinen Prinzen am besten, der den Prinzen lehrt, was „zähmen“ oder „sich vertraut machen“ heißt. Wie schön, wenn das wogende Weizenfeld den Fuchs an DEN kleinen Prinzen erinnert, eine spezielle Person, nicht irgendein Junge mit hellem Haar. Freunde müssen nicht gleicher Meinung sein, oft ist es sehr hilfreich, wenn ein guter Freund eine andere Sicht auf die Welt hat, denn das bereichert, wenn das Stadium der Empfindlichkeit gegenüber Worten, die als Kritik empfunden werden, überstanden ist. Freunde brauchen oft nicht viele Worte. Sie müssen sich nicht jeden Tag sehen. Sie dürfen auch weiter weg wohnen. Es sind Menschen, denen wir tief im Herzen verbunden sind, wir betrachten sie als unsere Wahlfamilie, dort sind wir der Mensch, der wir sind, maskenlos. Theoretisch wäre es ideal, wenn das überall so möglich wäre – keine Masken tragen, die im griechischen Theater „Persona“ hießen. Keine Rollen spielen. Carl Rogers hat von Therapeuten erwartet, dass sie restlos authentisch sind. Menschen, die anders sprechen als handeln, ent-täuschen uns tief. Freunde sorgen dafür, dass wir authentisch sind. Sie müssen nie einer Meinung sein, aber den anderen können sie gut stehen lassen mit dem, was er sagt und ist. Sie holen uns runter, wenn wir uns restlos verfranzt haben in Gedankenschleifen. Sie trösten und bringen uns im richtigen Moment zum Lachen. Sie nerven, weil sie uns gut kennen, mit einem Miniknopfdruck. Und sie sind die Personen, die wir nachts um 3 anrufen, wenn es not-wendig ist.

Freunde braucht es wenige, aber die wenigen braucht es sehr. Hast du gute Freunde, die das erfüllen, was wir uns unter dem Begriff „best friends“ vorstellen? Oder bist du nicht bereit, dich einem Menschen vollkommen zu öffnen aus Angst vor Verletzung? Sei du der Freund, den du dir wünschst und schau, was geschieht.

Allen einen freundschaftlichen Merkurtag. Vielleicht sehen wir uns am heutigen Dienstagabend in der Alten Synagoge Kitzingen zum Seminarabend „Herzensschätze“, wer mitmachen will, melde sich fix bei der VHS an! Oder morgen um 19.30 Uhr, auch in der Alten Synagoge Kitzingen zum Vortrag „Michaelizeit – Drachenkräfte stärken“ oder am Donnerstag um 19.30 Uhr in der Praxis zu Christophs Vortrag „Alles ist Klang“. Was uns sehr freut: die Menschen, die zu unseren Veranstaltungen kommen, besitzen alle das „beste Freunde“-Potential. Wie wärs mit einem Austausch mit dem Sitznachbarn? Der Winter naht, wir brauchen alle Freunde.

Danke an Steffi für das herrliche Herbstbild!

Best friends

Ich weiß, du bist mein Freund, wenn du mich kennst. Und eines solchen Freunds bedurft‘ ich lange.

Johann Wolfgang von Goethe, Torquato Tasso

Sigrid hat das best friends-Foto gemacht! Danke!

Dienstags-Nachdenk-Input

Der Sonntag wird noch lange nachklingen. Eine Übung zum Spiegeln in der Therapie entpuppt sich als Schlüsselmoment in der Biografie eines Menschen. Etwas wird bewusst, klärt sich und wie beim Domino Day fallen die Steine einer nach dem anderen um, wird das Gesamtpanorama sichtbar und das mit einem „Wow“. Sternstunden. Und jeder hat bemerkt, wie sich an der Arbeit eines anderen ganz einfach auch die eigenen Themen erkennen lassen. Nach dieser Arbeit konnten wir nur noch in die Stille gehen und jeder mit einem Text bei sich ankommen. Das Leben kann auch eine Wundertüte sein oder wie Forrest Gump es nannte: eine Pralinenschachtel. Du denkst dir nichts und schwupps bist du an deinem Lebensthema dran. Gut, wenn man sich dann aufmachen, die Dinge ergreifen und ins Leben einbauen kann.

Es wird ja eine weiterhin spannende Woche sein mit dem Herzensschätze-Seminar am Dienstagabend, dem Drachenkräftevortrag am Mittwoch, dem Klangvortrag am Donnerstag. Wir freuen uns auf neue und altbekannte Gesichter zu allen Veranstaltungen! Weit über 100 Kilo Quitten liegen zum Verarbeiten da. Ein Glück gehen die nicht schnell hinüber, das schaffe ich nicht so schnell. Die meiste Arbeit ist das Kleinhacken, der Entsafter macht den Rest dann schon. Für die professionelle Saftpresse ist das halt einfach eine zu kleine Menge. Wenn der Baum größer wird, ist das wieder die Option wie früher, falls die Familie, die die Presse betrieben hat, das dann überhaupt noch macht. Aber 120 Kilo im 9. Jahr ist prima. Braver Baum. Im Winter sind wir über jeden Tropfen Saft so froh. Jetzt klappt es wieder dank der größeren Bäume, dass wir ganzjährig eigenen Saft zur Verfügung haben, das ist gut. Der Garten hat seine Vorteile. Und bei der Wärme (vorhin hatten wir 22 Grad auf dem Thermometer) haben die Rosen beschlossen, nochmal voll in die Blüte zu gehen.

Allen einen bewegten und tatkräftigen Marstag!

Danke an Christoph für das Foto!

Tiefe Blicke

Warum gabst du uns die tiefen Blicke …

Warum gabst du uns die tiefen Blicke,
unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun,
unsrer Liebe, unsrem Erdenglücke
wähnend selig nimmer hinzutraun?
Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle,
uns einander in das Herz zu sehn,
um durch all die seltenen Gewühle
unser wahr Verhältnis auszuspähn?

Ach, so viele tausend Menschen kennen,
dumpf sich treibend, kaum ihr eigen Herz,
schweben zwecklos hin und her und rennen
hoffnungslos in unversehnen Schmerz;
jauchzen wieder, wenn der schnellen Freuden
unerwart’te Morgenröte tagt.
Nur uns armen liebevollen Beiden
ist das wechselseitge Glück versagt,
uns zu lieben, ohn uns zu verstehen,
in dem anderen zu sehen, was er nie war,
immer frisch auf Traumglück auszugehen
und zu schwanken auch in Traumgefahr.

Glücklich, den ein leerer Traum beschäftigt!
Glücklich, dem die Ahndung eitel wär!
Jede Gegenwart und jeder Blick bekräftigt
Traum und Ahndung leider uns noch mehr.
Sag, was will das Schicksal uns bereiten?
Sag, wie band es uns so rein genau?
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
meine Schwester oder meine Frau.

Kanntest jeden Zug in meinem Wesen,
spähtest, wie die reinste Nerve klingt,
konntest mich mit einem Blicke lesen,
den so schwerlich ein sterblich Aug durchdringt;
tropftest Mäßigung dem heißen Blute,
richtetest den wilden irren Lauf,
und in deinen Engelsarmen ruhte
die zerstörte Brust sich wieder auf;
hieltest zauberleicht ihn angebunden
und vergaukeltest ihm manchen Tag.
Welche Seligkeit glich jenen Wonnestunden,
da er dankbar dir zu Füßen lag,
fühlt‘ sein Herz an deinem Herzen schwellen,
fühlte sich in deinem Auge gut,
alle seine Sinne sich erhellen
und beruhigen sein brausend Blut!

Und von allem dem schwebt ein Erinnern
nur noch um das ungewisse Herz,
fühlt die alte Wahrheit ewig gleich im Innern,
und der neue Zustand wird ihm Schmerz.
Und wir scheinen uns nur halb beseelet,
dämmernd ist um uns der hellste Tag.
Glücklich, dass das Schicksal, das uns quälet,
uns doch nicht verändern mag!

Johann Wolfgang von Goethe

Danke an Silke für den herzlichen Zufallsfund im Wald

Montags-Nachdenk-Input

Sigrids Foto vom Schild, das der Baum langsam überwuchert hat, zeigt mir, dass die Natur eine großartige Fähigkeit der Anpassung hat. Offenbar war das Schild dem Baum nicht angenehm, doch machte er das Beste daraus, er wuchs darum herum und so wird das Schild nach und nach vereinnahmt werden. Gleiches geschieht mit verlassenen Grundstücken, die Natur erobert sich Stück für Stück alles zurück. Für mich immer wieder ein wichtiges Bild, um mich daran zu erinnern, dass nichts für immer Bestand hat. Verlässlich ist nur der Wechsel und Wandel. Der Platz, an dem ich lebe, sieht jetzt so aus, wie er aussieht. In tausend Jahren – wer weiß. Was von dem, was mir heute wichtig ist, wird dann noch existieren? Nichts, schätze ich. Schon drei Generationen nach mir werden meine Nachfahren Schwierigkeiten bekommen, mein Geburtsdatum zu wissen, weil das „olle Kamellen“ sind. Es ist für das Leben der Nachfahren vermutlich nicht relevant. Vielleicht macht es deshalb auch so viel Sinn, das Leben ganz bewusst zu leben, denn mein Leben wird mit meiner Person verschwinden. Es ist ein Wimpernschlag im Verhältnis zur Erdgeschichte. Manchmal helfen mir solche Gedanken, die Relationen wieder zu bekommen. Aber auch, um mir klarzumachen, dass mich das nicht von meiner Verantwortung für die Welt entbindet und meiner Aufgabe, die ich zu erfüllen habe.

Deshalb habe ich das Wochenende sehr genossen, denn ich hatte großes Glück, an diesem Wochenende war nicht nur der neue Cardeakurs mit seinem zweiten Kurstag am Start, sondern auch der Rogerskurs und beide Kurse befassten sich sehr intensiv mit Carl Rogers und der Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie. Wir haben uns die Biographie von Rogers angeschaut und uns auch darüber ausgetauscht, wie hilfreich es ist, wenn wir solche Dinge hören, denn wir verstehen viel besser, weshalb ein Mensch eine Therapierichtung entwickelt, wenn wir wissen, was ihn geprägt, wovon er geträumt hat, was sein innerer Antrieb war. Beim nächsten Wochenende trennen sich die Wege der beiden Kurse wieder, die Cardeas beschäftigen sich dann mit Albert Ellis und die Rogersleute vertiefen ihre Arbeit mit den Gedanken von Carl Rogers und üben intensiv Wertschätzung, Empathie und Authentizität.

Allen eine tolle neue Woche und herzliche Einladung! Am Dienstagabend um 19.30 Uhr ist in der Alten Synagoge in Kitzingen Teil 2 des Herzensschätze-Seminars. Was ist dein innerster Antrieb? Wer den ersten Abend verpasst hat, nimmt durchaus auch beim 2. Abend noch jede Menge mit, also gern noch anmelden und kommen, bitte direkt bei der VHS anmelden. Am Mittwoch ist dann Vortrag in der Alten Synagoge in Kitzingen zum Thema „Michaeli – Drachenkräfte stärken“ – wir schauen uns an, warum wir für die kommende dunkle Jahreszeit durchaus Mut brauchen können. Am Donnerstag krönen wir unsere Wochenabendtermine mit einem Vortrag in der Praxis von Christoph zum Thema „Alles ist Klang“! Merkt euch bitte auch den Dienstag, 29. 10., 19.30 Uhr vor, da ist GlücksWERKstatt und ihr habt euch das Thema „Halloween und Brauchtum dieser Zeit“ gewünscht! Hierfür wie auch für den Vortrag mit Christoph bitte anmelden, jeweils 10 Euro Unkostenbeitrag. Wir haben im Räucherkurs noch Platz am 1. 11.! Wer da mit dabei sein möchte von 9 bis 16 Uhr, kann sich gern anmelden. Wir starten mit dem Thema Aromapflege, befassen uns mit dem Geheimnis der Rauhnächte und werden am Nachmittag dann das Thema Räuchern angehen und uns mit Brauchtum sowie den Gedanken und Ideen dahinter befassen.

Allen einen guten Start in eine hoffentlich gesunde, frohe Woche!

Wochenend-Nachdenk-Input

„Was machst du, wenn du erfährst, dass du nur noch ein halbes Jahr zu leben hast“ – das ist die Frage des Buches „Herrn Preindls Sterbeetüden“ von Mathias Wais, ein kleines Buch, das derzeit das Ziel meiner Abende ist. Wenn das Tagewerk getan ist, ab ins Bett und ein weiteres Kapitel der Etüden vorgenommen.

Was für ein Buch! Der Untertitel „Ermutigung“ ist spannend. Wozu soll ich denn ermutigt werden? Zum Sterben? Dazu brauche ich keine Ermutigung, das mach ich sowieso, denn darauf wird mein Leben irgendwie auch rauslaufen. Was mir gefällt, ist der Gedanke des „Sterben übens“.

Das machen wir unbewusst jeden Tag. Jede Entscheidung, die wir treffen, bedeutet den Tod der Sache, gegen die wir uns entschieden haben. Jeder Abschied, jedes Loslassen, alles Zurücklassen ist ein Sterbetraining, jedes Einschlafen ein kleiner Tod, wie die Franzosen den Schlaf nennen.

Aber sich bewusst der Frage stellen, wie man gedenkt zu sterben, ist gewagt. Preindl macht schnell Schluss mit Klinikfolklore und Trallala im Familienkreis. Wenn ich vom Tod höre, dann kommt er oft, wenn alle Angehörigen mal draußen sind. Offenbar stirbt mancher gern seinen Tod in Seelenruhe, nicht mehr genötigt von Verwandten, salbungsvolle letzte Worte zu sagen, die sich tief ins sehnende Herz einbrennen.

Preindl räumt auf in seinem letzten halben Jahr. Er benennt die Dinge klar. Es ist ein Buch zwischen Lachkrampf und „puuuuuh, das könnte hart werden“. Und es ist eine unglaubliche Einladung, das Leben zu ergreifen, solange es noch nicht dabei ist, sich vom Acker zu machen. Wobei Preindl ja auch irgendwo Glück hat, sein Doc gibt ihm im wahrsten Sinne des Wortes eine Deadline. Das Sterben ereilt jeden auf seine Weise, mancher wacht morgens einfach nicht mehr auf. Keine Zeit für Dramen, Abschiede und keine Antwort auf die Frage „wo ist der Schlüssel zum Tresor?“ Insofern hat eine Krankheit, die stetig voranschreitet und wo Dinge absehbar werden, auch diesen einzigen Vorteil des Abschiednehmenkönnens (wenn das einer ist, die Frage habe ich noch nicht für mich beantwortet, sie betrifft auch eher die Überlebenden).

Deshalb – üben wir das Sterben. Stellen wir uns dem Thema mal ganz bewusst. Malen wir uns ruhig unseren Tod aus, immer wieder, in vielen Varianten, wie Preindl das macht. Folgen wir seinen Gedanken, oft genug könnten es genau unsere eigenen sein. Was geht uns da dann durch den Kopf? Preindl macht es vor. Höchstes und Banalstes. Irgendwo dazwischen werden wir vermutlich unterwegs sein, fürchte ich. Es ist wirklich hilfreich, sich darüber mal Gedanken zu machen und nicht immer nur, wie in Seminaren oft üblich, bei (schlechten) Grabreden über sich selbst stehen zu bleiben.

So, wie jede Geburt einmalig ist, wird jeder Tod einmalig sein. Wir mögen uns viele Gedanken über beide Tür- und Schwellenerlebnisse machen. Letztlich geht jeder diesen Weg rein und raus alleine, er kommt und geht mit nix, nackt, kann nur mit dem punkten, was er ist, nicht was er hat. Darum möge als Anregung die Frage dienen – wer BIST du? Reicht das schon für den „guten Tod“ oder ist noch ein onpack zu deinem Leben nötig? Dann aber los, oder? Bevor die Deadline gefühlt zu früh ruft und du noch rein gar nicht bereit bist.

Allen ein feines Wochenende. Macht was aus euren 48 Stunden.

Zwar nicht ganz die Barke des Fährmanns über den Styx, die Theresa fotografiert hat, aber auch ein schönes Bild zum Thema.

Herbsttage

Nebel und Regen

Herbstende, Winter, Frühlingsschlamm und Regen,

Euch stillen Zeiten schlägt mein Herz entgegen,

Der kalte Dämmer eures Nebelgraus

Umhüllt wie Bahrtuch mich und Totenhaus.

Wenn eisige Winde durch die Ebnen fegen,

Die Wetterfahnen kreischend sich bewegen,

Dann breitet, wilder als im Lenzgebraus,

Die Seele ihren Rabenfittich aus.

Denn nichts ist süßer für ein Herz voll Trauer,

Auf das der frostige Reif sich niedersenkt,

Ihr bleichen Himmel, unsrem Land geschenkt,

Als eurer ewigen Dämmrung fahler Schauer.

Wenn nicht zu zwein in mondlos stiller Nacht

Wir Brust an Brust den Schmerz zur Ruh gebracht.

            Charles Baudelaire, 1821–1867

Danke an Ursula für das wunderschöne Herbstfoto

Freitags-Nachdenk-Input

„Ich lerne immer“ – diese Aussage von Michelangelo finde ich großartig. Genau das tun wir, jeden Tag aufs Neue. Wir lernen, ob wir etwas gut schaffen oder bestens scheitern, wir lernen von den Menschen, die uns begegnen, von der Natur, von allem. Blicken wir nachts zum Sternenhimmel, lernen wir vom ältesten Bilderbuch der Menschheit. Immer lernen wir. Jeder Tag ist eine einzige Abfolge von Lernchancen. Genau das macht für mich Leben aus – immer weiterlernen zu dürfen. Hoffentlich bleibt mein Hirn lange fit, damit immer noch was „reingeht“ bis zum Ende.

Schade, dass manche Menschen an einem bestimmten Tag im Leben beschließen, dass sie nicht mehr lernen möchten. Sie sind überfordert mit „dem modernen Zeug“, fühlen sich außen vor, weil sie vielleicht nicht mehr so schnell sind, schlechter sehen, hören, was immer. Vielleicht muss ich auch ab einem bestimmten Punkt im Leben nicht mehr alles mitmachen, ich darf dann auch mal aufhören, alles Neue an mich heranzulassen. Wenn es im Gegenzug dafür gelingt, den Suchscheinwerfer meines Lernens ins eigene Innere zu richten, meine Schattenseiten auszuleuchten, anzunehmen und bis zum Ende meines Lebens in eine gute Balance zu bringen, ist das wunderbar. Tsültrim Allione, die große Weisheitslehrerin von Tara Mandala, ist seit Monaten in den Bergen im Retreat. Neulich sagte jemand: „Das würd ich auch gern mal machen“ – das glaube ich nicht. In restloser Abgeschiedenheit, konfrontiert mit einer heftigen Natur, seinen folternden 60.000 Gedanken am Tag ausgeliefert sein ist nichts, was man „aus Spaß“ macht, sondern weil ein massiver innerer Reinigungs- und Loslassprozess stattfindet, dem ähnlich, der geschieht, wenn aus der Raupe ein Schmetterling wird. Allione möchte ein Jahr in einer kleinen Hütte bleiben. Allein die Tatsache, ein Jahr weitgehend ohne menschliche Ansprache und mit sich selbst konfrontiert zu sein, wird bei uns Westlern vermutlich schnellstmöglich einen Wahnsinnsanfall auslösen. Wer sich so ein Projekt vornimmt, ist geübt im Lernen, geübt im Annehmen der Schattenseiten, geübt darin, im Anblick großer Angst „mu“ zu entwickeln, Leere, Hingabe, die sich an die Angst verschenkt und sie füttert, damit sie sich zu Mut verwandeln kann.

Lernen findet immer exakt an dem Ort statt, an dem wir uns gerade befinden. Was genau hast du heute schon gelernt? Wem warst du heute Lehrer? Was nimmst du mit von diesem Tag?

Allen einen liebevollen Venustag.

Danke für das tolle Herbstfoto, Ursula.

Donnerstags-Nachdenk-Input

Der Wind heult ein wenig ums Haus herum und zerrt an losen Blättern. So langsam tauchen die Nachbarn auf der gegenüberliegenden Siedlungsseite wieder auf. Ein halbes Jahr sehe ich sie, ein halbes Jahr höre ich sie.

„Jeder ist für alles vor allen verantwortlich“ – über Dostojewskis Satz bin ich vorgestern gestolpert und er hat mich überrascht. Er erinnerte mich sehr an den Lieblingssatz eines meiner Lehrer. „Wahrnehmung verpflichtet“. Sinngemäß bedeuten beide Sätze eine klare Aufforderung. Wenn wir sehen, dass etwas ansteht, was zu tun ist, zu ändern wäre, einer Handlung bedarf, haben wir den Auftrag, das auch zu machen und nicht zu denken „ich tu so, als ob ichs nicht gesehen hätte, solls doch wer anderes machen, ich bin nicht der Depp vom Dienst“. Erinnert mich sehr an die Aussage zum Weltklima: „Was soll ich als Einzelner denn machen?“ Das, was alle anderen rund 9 Milliarden Menschen ebenfalls machen können: achtsam mit allem umgehen und sich für den gesamten Planeten mitverantwortlich fühlen.

Studien belegen, dass Schüler, die ihre Schule selbst pflegen dürfen, weniger Vandalismus betreiben, sondern mit dem Mobiliar und dem Gebäude sorgsamer umgehen. Warum? Weil der Fuchs aus dem kleinen Prinzen wahre Worte sagte, als er meinte: „Man ist zeitlebens für das verantwortlich, was man sich vertraut gemacht hat“. Auch hier haben wir das Wort „Verantwortung“. Ich antworte auf eine Herausforderung, die mir das Leben stellt und gebe mein Bestes. Ich sehe, dass etwas not-wendig ist, dann mache ich eben das, was die Not wendet.

Ich warte nicht, bis ich einen Auftrag bekomme, ich übersehe es nicht, weil ich grad keinen Bock darauf habe oder keine Zeit (ist = keine Lust). Ich mache es einfach. Und ja, vielleicht bin ich dann der Depp vom Dienst, weils sonst keiner macht. Ich mache es, weil ICH es für richtig und wichtig empfinde, nicht, damit mich jemand lobt oder mag. Verknüpfungen der Marke „wenn ich das mache, mögen mich die anderen“ funktionieren in der realen Welt nie. Sie halten aber jede Menge Glaubenssätze am Laufen, die selbstwertferne Menschen mantrisch wiederholen und damit ihr persönliches Leid einfräsen.

Also – wenn ihr seht, dass was zu tun ist, wäre die Challenge, das einfach mal zu machen. Einfach so. Ohne jammern, ohne klagen, ohne darüber eine dreiseitige Pressemitteilung über eure Heldentat zu verfassen. Heb einfach den Müll auf. Häng ne frische Klorolle hin. Spül die Tasse, bevor der Kaffeerand nie mehr rausgeht. Trag der Oma den Wasserkasten hoch. Halt die Hand, wenns gebraucht wird. Fackel nicht rum, mach es einfach. Flagge zeigen kann bedeuten, sich der Verantwortung des Tages zu stellen. Egal, wie sie aussieht. Einer für alle, alle für einen. Dann läuft der Laden.

Allen einen tatkräftigen Jupitertag.

Dank an Sigrid für das feine Wasserfoto!

Mittwochs-Nachdenk-Input

Der Herbst leuchtet, die Natur packt ihren großen Farbkasten aus und gibt noch einmal allen Augen bunte Nahrung. Heute Morgen hingen zarte Dunstschleier überall, schickte sich der Mond an, sich wieder zu verdünnisieren. Eine Zeit, in der die Sehnsucht nach Stille groß wird. Immer wieder merke ich, wie wichtig mir Stille ist. Zeiten, in denen es keinen Input gibt an Worten, Infos, Medien. Bewusst genieße ich diese Zeiten, heilige Zeiten sind mir das. Kehre ich zurück, erschrecke ich. Unvergessen mein erstes Schweigeretreat. Das Schweigen wurde aufgehoben. In dieser Sekunde erhob sich ein lautstarker Stimmenschwall, dessen banaler Inhalt mir die Luft nahm. Nie habe ich Geschwätz Marke: „findest du das Gemüse hier auch immer so grob geschnitten?“, „Blöd, dass man auch sein Handy hier im Haus nicht benutzen darf“ schlimmer empfunden als nach Tagen des Schweigens. Ich finde, da sollte es eine Regel geben wie beim Fastenbrechen. Da gehst du nicht von null auf „ich werf mich auf ein Riesenbufett und teste alles aus“, sondern beginnst mit dem bewussten Genießen eines Apfels. So sollte es dann auch mit den Worten sein – bewusste Wahl, welche ich sage und welche ich mir sparen kann.

Immer wieder denke ich an Carl Otto Scharmers Theorie U, der das Geschwalle als Herunterladen bezeichnet. Person A drückt ihren Text an Person B ab und die „antwortet“ (nicht wirklich, sie hat ja nicht wahrhaft hin-, nur zu-gehört) mit ihrem Text, den sie ohnehin loswerden wollte. Infogehalt null, menschliche Begegnung- keine.

Allen einen gelungenen Merkurtag, vielleicht mit der Idee – ist das, was ich sagen will, wichtig Kann Stille, wohlwollendes liebevolles Schweigen, nicht manchmal die „bessere Rede“ sein und mehr Mitgefühl erzeugen als „du, das kenn ich, bei mir war das damals aber echt noch viiiiiel ….“? Ein Tag Verzicht auf „geistige Blähungen“ dieser Art, schau was geschieht.

Sigrid hat die Würzburger Marienkapelle vor einem nur im Herbst so blauen Himmel fotografiert. Dankeschön!

Herbstbild

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

Friedrich Hebbel

Das zauberhafte hängende Laub fotografierte Steffi! Danke!