Monthly Archives: November 2020

Wenn alles verloren scheint

In dem Augenblick aber, wo uns alles verloren scheint, erreicht uns zuweilen die Stimme, die uns retten kann; man hat an alle Pforten geklopft, die auf gar nichts führen, vor der einzigen aber, durch die man eintreten kann, und die man vergeblich hundert Jahre lang hätte suchen können, steht man, ohne es zu wissen, und sie tut sich auf.

Marcel Proust

Sina hat dieses spannende Felsentor im Schwarzwald beim Wandern entdeckt. Danke fürs Teilen!

Wider Angst und Panikmacherei

Während die Welt die bisherigen Gleise verlässt, geht in manchem das ganz normale Leben einfach weiter, sprich: das Obst reift und möchte eingemacht werden. Die Quitten sind oft so mit das Letzte im Jahr, was wir einmachen und wir freuen uns, dass unser Quittenbaum seit zwei Jahren endlich trägt. Es ist ein Birnenquittenbaum, unsere Apfelquitte ist noch ein Baby. Es braucht viele Jahre, bis man wahrhaft gute Ernten hat und so war es in diesem Jahr mit dem Apfelbaum, der über und über herrlichste beste Äpfel hatte. Nun haben wir heute den letzten frisch vom Baum zum Frühstück ins Müsli geschnippelt, die Ernte ist verarbeitet. Viele, viele Gläser getrocknete Apfelringe füllen den Vorrat. Wer weiß, was kommt und wozu man alles brauchen wird.

Es herrscht eine seltsame Stimmung seit den Anschlägen in Wien. Während Corona den Lockdown erzwingt, wird klar, dass das auch ausgenutzt werden kann, um irgendwelche anderen Interessen zu verfolgen. Wir haben es nicht mit einer singulären Bedrohung zu tun. Gleich die ersten Klienten heute sagten mir, wie sehr sie das belastet und dass das ihren Angstfaktor massiv hochtreibt. Und sie formulierten ihre Sorge, dass wir vielleicht genug Notfallbetten haben, aber eben nicht mehr genug ausgebildete Ärzte und Schwestern, die die gesamten Notfalleinheiten auch bedienen können, weil sie selbst erkrankt sind. Das ist ein ernsthafter Faktor.

Für die meisten Menschen war der Frühjahrslockdown machbar, wie oft habe ich gehört, wie gut der Stillstand war (für uns sah das sehr anders aus). Jetzt kommt Corona immer näher, hat das Thema Quarantäne oder Infektion die einzelnen Familien erreicht, wird die Sorge greifbarer. Noch ist das Wetter mild, ich bin gespannt, wie die Stimmung wird, wenn es umschlägt und der November zum üblichen November wird.

Es gibt keinen Grund zur Panik. Es macht Sinn, sein Immunsystem gut aufzustellen. Sich an der frischen Luft so oft es geht zu bewegen. Sich immer wieder Dinge vor Augen zu halten, die Freude bereiten. Mehr Abstinenz zu Medien. Weniger Hetzparolen anhören und mehr Musik von Johann Sebastian Bach. Bunte Blätter sammeln ist jetzt hilfreicher und Kastanien zum Basteln als das Sammeln von Betroffenheitsberichten in Klatschblättern. Menschen mit empfindsamen Seelen sollten jetzt Farbe, Sonne, Licht und Freude tanken, genug Teevorräte anlegen und sich eine weiche Wolldecke aus Rhönschafwolle zulegen, damit Geborgenheit spürbar wird.

Wichtig ist, den Raum zwischen den Ohren angstfrei zu halten. Bleiben wir aufmerksam auf das, was geschieht, aber nicht im Sinne einer Schockstarre und Dauerabruferei von schlechten Nachrichten. Achtsamkeit hilft, richten wir stets den Fokus auf das, was gut ist. Genug trinken, jede Menge Obst und Gemüse auf dem Teller haben und tanzen, tanzen, singen und tief atmen. Ausreichend schlafen. DAS ist das Survivalkit dieser Tage. Und vor allem Kopf frei von Panikmachern und Chaoten.

Allen einen beweglichen Merkurtag voller Momente des Staunens und Freuens.

Lob der Quitte

In jede hohe Freude mischt sich eine Empfindung der Dankbarkeit.

Marie von Ebner-Eschenbach, 1830–1916

Dankbar bin ich heute für meine herrlichen Quitten, die gemütlich im Entsafter zu herrlichster Köstlichkeit einkochen. Freude habe ich am Quittenbaum von der Blüte bis zur Ernte. So schön!

Von Rechten und Pflichten

Der Sturm pfeift mächtig ums Haus und lässt die Balken knarzen. Der November fegt mit Schwung herein nach dem Blue moon am Wochendende. Einige Menschen klagten am Wochenende über Müdigkeit, Erschöpfung und Kopfschmerzen. Es ist vieles in Bewegung, wir sind ganz schön „durch den Wind“.

Beecher, dessen Schwester Harriet das berühmte Buch „Onkel Toms Hütte schrieb“, trat sein Leben lang gegen Sklaverei und die Unterdrückung von Frauen ein. Eine seiner berühmtesten Aussagen lautet: „Wahrheiten sind erst Wolken, dann Regen, dann Ernte und dann Nahrung“. Sein Spruch „Eine Seele ohne Phantasie ist wie eine Sternwarte ohne Teleskop“ fiel mir ein, als ich Christophs Photo des Hamburger Planetariums sah. Schade, dass man sie derzeit nicht besuchen kann, die Planetarien. Wie aufregend ist es, im Sessel zu sitzen und zu glauben, man sei mitten im Weltall. Was für ein Abenteuer ist das. Das gibt einem zumindest homöopathisch eine Vorstellung davon, wie sich Weltraumfahrer fühlen, wenn sie die Erde aus dem All sehen und den Mond. Unsere blaue Murmel in der unfassbaren Weite, in der Dinge existieren, die wir uns nicht mal ansatzweise vorstellen können.

Der Weltraum ist so geheimnisvoll wie die Tiefsee und der Regenwald. Es wäre klüger gewesen, die Geheimnisse des Regenwalds erst zu erforschen, bevor er abgeholzt wird. Ich fürchte, wir haben damit die Apotheke der Zukunft mit zerstört. Wie nach dem Brand der Bibliothek von Alexandria ist damit unfassbar viel Wissen verloren gegangen. Dort gibt es Pflanzen und Tiere, die eventuell Heilmittel gegen Leiden der Zukunft gewesen wären. Nun, wir heutigen Menschen glauben, das Recht zu haben, uns zu nehmen, was wir wollen. Dass wir keine derartigen Rechte haben, sehen wir derzeit wohl immer stärker ein. Jetzt ist wohl eher die Zeit der Pflichten gekommen.

– Der Pflicht, achtsam und aufmerksam zu sein, nicht im Sinne von „überwache deinen Nachbarn“, sondern: achte auf das, was du selbst tust.

– Der Pflicht, einander wahrzunehmen und zu erkennen, wann jemand Hilfe braucht.

– Der Pflicht, sorgsam mit allem umzugehen, was wir haben.

– Der Pflicht, nicht gierig egozentrisch zu horten, sondern darauf zu vertrauen, dass wir ausreichend Dinge haben, die zum Leben nötig sind. Erstaunlich wenig Dinge sind wirklich nötig übrigens.

– Der Pflicht, wach zu sein und hinzuschauen, was wo wie welche Wege geht. Wir sind keine Schafherde, sondern Menschen. Versuchen wir uns zu informieren und Rat einzuholen, wenn das nötig ist.

– Der Pflicht der Regierungen, ihre Bürger umfassend darüber in Kenntnis zu setzen, was Sache ist. Wer offen kommuniziert, kann aufl mehr Zusammenhalt hoffen. Ich denke, wenn wir verstehen, wie die Faktenlage ist und was das auf allen Ebenen bedeutet, werden Menschen auf andere Weise daran mitarbeiten, dass alle gesund bleiben. Widerstand wächst bei Unklarheit und fehlender Information. Dann stirbt das Vertrauen und das wäre das Wichtigste, ohne Vertrauen keine Compliance, was die Befolgung von Maßnahmen betrifft.

– Der Pflicht aller Verantwortungsträger (= aller!), das Angstschüren zu beenden und einander zu erlauben, vertrauenswürdig zu sein. Vorbilder sind wichtig.

– Der Pflicht, sich selbst gut aufzustellen, für Freude und Freundlichkeit im eigenen und dem Leben der anderen mit zu sorgen.

– Halten wir die Herzen und Hände offen und stellen uns hinter die Angstlinie. Beyond fear. Da finden wir den inneren Frieden, den Mittelpunkt, den wir brauchen, den Anker, um nicht wegzudriften in Gewässer, die uns nicht gut tun.

Allen die aktive Kraft des Marstages!

 

Morgenversammlung der Krähen, festgehalten von Manuela. Danke!

Magic Zone

„Im traurigen Monat November wars“, so beginnt Heinrich Heines Werk „Deutschland, ein Wintermärchen“. Darin schildert er eine Reise in das Heimatland und die Konfrontation mit dem, was ihn an seinem Land nicht gefällt.

Der November wird bei Heine traurig genannt, oft höre ich „grau in grau“ und anderes. Vielen fällt der November schwer und ich fürchte, durch die Situation in diesem Jahr wird das noch mehr erschwert. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns nicht beirren lassen auf unserem Lebensweg.

Wir erleben in diesem Jahr etwas, das wichtig ist: Wir sind gezwungen, aus der Komfortzone herauszutreten, wir können nicht drin bleiben und alles ignorieren. Ob wir wollen oder nicht müssen wir jetzt Flexibilität zeigen, üben, uns an neue Gegebenheiten anzupassen. In jedes einzelne Leben hinein ergreift uns der Wandlungsprozess. In der Komfortzone gibt es keine Entwicklung und wie saturiert wir in vielen Dingen sind, erleben wir nun gut gespiegelt.

Die magic zone, das Abenteuerland, beginnt weit (weit!) hinter der Komfortzone. Die Zeiten bringen uns zum Nachdenken, zum Verändern, zum Andersdenken. Es ist die Zeit der nüchternen Bilanzen: Was trägt, was bleibt, was muss gehen, was ist nicht zukunftsorientiert, würdevoll, menschenliebend und verantwortungsbewusst? Es ist die Zeit, in der wir unsere A-B-C-Schemata verlassen. Aus A folgt nicht mehr B und C. Die Probleme unserer Zeit sind nicht einfach lösbar. Da gibt es kein richtig oder falsch, denn ein gefühltes Richtig kann falsch sein, weil x andere Gesichtspunkte nicht auf dem Schirm waren. Deshalb kann ein einzelner Mensch heute die Komplexität von Prozessen oft nicht mehr wahrhaft abschätzen und entscheiden, es braucht Teamarbeit, Austausch, Miteinander, Kommunikation. Es geht nicht mehr um „wenn …. xy erfüllt ist, dann reden wir miteinander …“, sondern um die Überwindung der zahllosen Gegensätze zwischen Menschen zugunsten der größeren Sache.

Zukunft braucht gestellte Weichen. Wir sind die derzeit lebenden Menschen auf dem Planeten. Also ist es unsere Aufgabe, alles dafür zu geben, dass die blaue Murmel im Orbit weiterhin ein Ort des Staunens, der Wunder, der Liebe und der Gemeinschaft sind und werden.

Heine endet übrigens versöhnlich: „Das alte Geschlecht der Heuchelei wird verschwinden, denn schon knospet die Jugend, welche versteht / Des Dichters Stolz und Güte, / Und sich an seinem Herzen wärmt, / An seinem Sonnengemüte.“

 

Bleib gesund und komm gut in die neue Woche. Was wird diese Woche DEIN Schritt aus der Komfortzone sein und dein Beitrag für eine gelingende Zukunft? Danke dafür. Danke für dein Sein. Jeder Einzelne zählt. DU bist wichtig.

Alles ist miteinander verbunden. Sehr gut kann man das am Räderwerk der großen Uhr im Hamburger Michel erkennen. Machen wir uns bewusst, dass wir als Menschen ebenfalls mit allem, was lebt, verbunden sind. Wenn auch nur ein Sandkorn klemmt, geht nichts mehr.

Deutschland, ein Wintermärchen

Im traurigen Monat November wars,

Die Tage wurden trüber,

Der Wind riss von den Bäumen das Laub,

Da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,

Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen

In meiner Brust, ich glaube sogar

Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,

Da ward mir seltsam zu Mute;

Ich meinte nicht anders, als ob das Herz

Recht angenehm verblute.

Heinrich Heine: Deutschland, ein Wintermärchen

Christoph ist beruflich nach Hamburg gereist und hat den Michel fotografiert.