Das Ergebenheitsgebet, das Rudolf Steiner zugeschrieben wird, ist ein Text, den ich gern und oft zur Hand nehme. Es enthält eine klare Handlungsanweisung („den Willen schulen“) und zeigt auf, wie wir im Chaos des Lebens standhaft bleiben können: Indem wir uns bewusst machen, dass wir keine Daseinssicherung haben. Nichts ist beständig, stets wandelt sich alles. Sicherheiten – Fehlanzeige. Sicher ist, dass alles, was lebt stirbt und dass sich eben alles stets wandelt, mehr Daseinssicherung gibt es nicht. Das Leben ist ein Freeclimbing-Programm, wenn man so will. Es gibt keinen Probelauf, das Leben ist direkt „live und in Farbe“.
Manchmal fällt mir auf, dass die Menschen leben, als würden sie auf etwas Bestimmtes warten. Den richtigen Job. Den passenden Partner. Das perfekte Kind. Das Mittagessen. Das eine Ereignis, welches das gesamte Leben umkrempelt. Godot ist sicherer. Natürlich kann Abwarten eine gute Entscheidung sein. Wer im Frühling auf den Apfelbaum sauer ist, weil nicht über Nacht aus Blüten Früchte werden, hat schlechte Karten. Oft ist es so, dass wir in unguten Lebenslagen feststecken vor lauter Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen.
Gestern sagte mir eine Klientin, dass sie von der Unverbindlichkeit der Menschen sehr belastet wird. Sie arbeitet in einem Kindergarten. Sie berichtete, dass Zusagen für einen Platz häufig so spät getroffen werden, wenn es für die Einrichtung nicht mehr machbar ist, den abgesagten Platz zu belegen. Es wird sich überall angemeldet, um überall ein Eisen im Feuer zu haben. Verbindlichkeit ist deshalb schwer, weil wir dann eine Entscheidung zu treffen haben. Für etwas bedeutet gegen etwas anderes. Was, wenn das besser gewesen wäre?
Institutionen, Schulen, Firmen leiden massiv unter dieser Unverbindlichkeit. Die Menschen erwarten ein breites Angebot. Das muss geplant werden. Wenn sich keiner verbindlich anmeldet, müssen Kurse, die teilweise Jahre vorher eingetaktet werden, weil Dozenten nicht allzeit verfügbar sind, abgesagt werden. Dadurch kommt es zu so seltsamen Erscheinungen, dass die Interessenten einen Tag davor anrufen, heftig reagieren und sich beschweren, warum das abgesagt wurde, wo sie sich doch so dafür interessieren und just jetzt „Bock drauf haben“.
Verbindlichkeit bedeutet, zu seinem Wort zu stehen. Das haben wir verlernt. Wir stehen nicht mehr zu unserem Wort, weil wir Zusagen unverbindlich gestalten wollen, um Entscheidungsfreiheiten offen zu halten. Damit haben wir oft leider nur belegt, dass wir nichts von dem allem wirklich wollen, denn würden wir das, könnten wir leicht ein klares Ja oder ein klares Nein sagen. Nicht selten erwarten wir von anderen Menschen hingegen Klarheit und Entscheidungsfreude, um zu wissen, „woran wir sind“. Wir bewundern Menschen, die klar in ihrem Standing sind, die wissen, was sie wollen und was nicht und das auch rechtzeitig, offen und klar formulieren.
Vertrauen wir unserer inneren Stimme. Wenn sie Ja sagt und Kopf, Herz und Bauch das gut überlegt haben, darf das Ja auch wahrhaft sein oder das Nein, wenn dem nicht so ist. Rechtzeitig und deutlich. Dann werden wir nicht überfordert von einer Masse an Wahlmöglichkeiten, sondern suchen gezielt das heraus, was unsere Entwicklung voranbringt. Dann wächst das Vertrauen in uns, in andere und wir können unser Herz auch Größerem gegenüber offen sein.
Allen ein klares, wunderbares, gutes Wochenende voller Momente, in denen wir aus ganzem Herzen Ja und Nein sagen können.
Die Bartblume blüht. Sie läutet die Zeit der herbstblühenden Büsche bei uns im Garten ein.