Unkraut ist die Opposition der Natur gegen die Regierung der Gärtner.
Oskar Kokoschka zugeschrieben, 1886-1980
Unsere „grüne Hölle“ am letzten Wochenende.
Gandhis Satz „Der Ozean kennt keine völlige Ruhe, das gilt auch für den Ozean des Lebens“ hat sehr viel Wahrheit. Als ich Steffis Foto bekam, wünschte ich mich auf der Stelle dorthin. Genau an diese Stelle, an der Steffi das Foto machte. Mal ehrlich – was gibt es Schöneres auf der Welt, als die Kunst der Wellen zu betrachten, ihrem Lied zu lauschen und zu wissen, dass die Meere die Teile des Planeten sind, die wir am wenigsten kennen? Was wissen wir über das, was in der Tiefe lebt?
Ich habe mich oft gefragt, warum wir so gern im All herumforschen, aber wenig Anstrengung unternehmen, in die Tiefsee zu tauchen. Ich glaube, es liegt an unseren Urängsten. Im All begegnen wir höchstens Aliens. Denen hauen wir bekanntermaßen auf die Mütze, damit sie uns nicht unterjochen und retten so klassisch das Universum vor Bösewichtern. In der Tiefsee könnte es sein, dass wir mit unseren allertiefsten eigenen Befürchtungen konfrontiert werden. Die Tiefsee ist unerbittlich und tötet schnell (das All übrigens in dem Moment eines Lecks im Weltraumanzug ebenso, was aber ignoriert wird. Der Held steckt den Finger rein und dichtet es so ab. Sehr realistisch gedacht). Dort leben Wesen, die unseren Alpträumen entsprungen sein könnten, weil sich ihre Körper an den Druck des Meeres angepasst haben, die vielleicht uralt sind. Letzte Woche las ich von Fischen, die zur Zeit Martin Luthers wohl geboren wurden – was sie wohl alles erlebt haben? Aliens sehen für uns immer aus wie E.T., also „machbar“.
Vielleicht wissen wir schon viel über das All und viel über Ozeane. Lange nicht alles. Da sind wir nämlich lieber im Außen unterwegs, als wenn wir uns mit unseren eigenen Tiefen befassen müssten. Die Arbeit mit und am Schatten in uns fühlt sich für viele bedrohlich an, dabei sind es weisheitsvolle Lehrer, die uns auf ungehobene Schätze hinweisen. Und klar, es ist Arbeit. Das wollen wir ja sehr gern vermeiden, an und mit uns zu arbeiten. Wie viel einfacher ist es, Sorgen und Nöte ins Außen zu projizieren, um dem Mitmenschen froh sagen zu können, was er für Splitter im Auge hat.
Ich wünsche allen eine Woche, die überschaubare Wellen an den Lebensstrand spült. Eine Woche, in der wir das Lied der Meere vernehmen und den Hilferuf aller Wesen, die darin leben, zwischen Überfischung, Plastikmüll, Abfall, verklapptem Öl und allem, was wir meinen, dort ins Meer werfen zu müssen. Jeder Bumerang kehrt zurück. Wenn wir wollen, dass unsere Kindeskinder am Meer stehen und solche Wellen erleben dürfen, ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ein Meer wieder das ist, was es sein soll – ein Ort, an dem viele Lebewesen ihren Lebensraum sauber vorfinden, indem die Gezeiten den Atem der Erde widerspiegeln und jeder im Tiefsten weiß, dass er ein Tropfen des einen Ozeans ist.
Danke an Steffi für dieses tolle Foto! Du schenkst vielen Menschen mit deinen Bildern Urlaubsmomente auch daheim.
Tugend – ein heute seltenes Wort. Ich mag es sehr. Werte, Tugenden – was sind deine geübten Tugenden? Deine wichtigsten Werte? Wie pflegst du sie? Welchen Stellenwert nehmen sie in deinem Alltag ein?
Bacon beschrieb, dass sie am besten in einfacher Fassung getragen werden – die Tugend der Bescheidenheit hat auch was in einer Zeit, in der gern marktschreierisch über vieles hinweggegangen wird, die Egozentrik gut gepflegt wird und das Ich vor dem Wir kommt. Ich halte ein gut ausgebildetes Ego sehr wohl für wichtig, denn wir brauchen es, um durch die Welt zu kommen. Doch wie alles braucht das Ego auch ein Maß.
Viele Menschen suchen in diesen Tagen Erholung. Das empfinde ich in diesem Jahr als schwerer als sonst. 2020 war alles wie in einer Schockstarre, doch 2021 trudeln wir als Gesellschaft, als Weltgemeinschaft sehr stark, wir schlingern von Krise zu Krise, privat wie global.
Ein Austausch mit einer Kollegin gestern war spannend. Auch sie macht die Erfahrung, dass es uns an jedweder Orientierung fehlt. Nun, wenn der innere Kompass nicht mehr eingenordet ist, werden wir anfällig für Einflüsse von außen. Nur die Stärkung des inneren Wesenskerns kann uns wieder einnorden. Werte, Tugenden, Stärken gehören zu den Stabilisatoren unseres Seins. Vielen Menschen half in alten Zeiten der Glaube. Das kann er nach wie vor, auch wenn sich viele mit den Institutionen schwer tun. Das Eine hat für mich mit dem Anderen wenig zu tun. Ich muss nicht im Fischerverein Mitglied sein, um zu wissen, wo die Fische sind. Kirchen sind dennoch durch die unzähligen Gebete und Gottesdienste Kraftorte, stehen nicht selten auf Kraftlinien-Kreuzungspunkten und können deshalb auch heutigen Menschen Kraft vermitteln. Wie wäre es am Wochenende mal mit einem Besuch in einem alten Kloster, einer Klosterkirche, einem Gang durch einen Heilkräutergarten dort oder einem Ort in der Natur, der uns Ruhe schenkt? Wir können das alle brauchen.
Ein schönes Wochenende allen. Den Urlaubsreisenden gute Fahrt, den Heimkommenden gute Ankunft, den daheim Bleibenden Freude.
Ein Leben ohne Kunst wäre schrecklich arm. Auch wenn es sich um eine Außenansicht des Guggenheimmuseums Bilbao mit Louise Bourgeois‘ „Maman“ handelt. Theresa hat sie für uns fotografiert. Das hiesige Pendant, Hauswinkelspinne genannt, in riesiger Größe (ich schwöre!) hat Christoph netterweise unter meinem Schreibtisch entfernt. Das ist der Grund, warum der Post heute so spät kommt. Thekla und ich in einem Umkreis von einem Meter ist jenseits meiner Vorstellung.
Wielands Aussage „Ein einz’ger Augenblick kann alles umgestalten“ kann vermutlich jeder nachvollziehen. Wir hatten alle schon solche Momente. Die Sekundenbruchteile, in denen Dinge geschehen, die wir nicht rückgängig machen können. Die Zehntelsekunde, wo ein Schutzengel eingegriffen und uns vor etwas Schlimmen bewahrt hat. Und diese Momente jenseits von Zeit und Raum, in denen wir ehrfürchtig in der Natur standen und mit einem Schlag das Wort „Schöpfung“ begriffen.
Suchen wir die Momente des Staunens, des Wunderns. Kinder staunen den ganzen Tag, denn sie kennen noch nichts von der Welt. Wir meinen, alles „schon mal“ gesehen zu haben. Klar haben wir vielleicht schon viele Frühlinge und Herbste, Sommer und Winter gesehen. Ist das ein Argument, ihre Einzigartigkeit nicht zu würdigen? Wenn wir aus dem Staunen fallen, fallen wir auch aus der Ehrfurcht vor dem, was unseren Schutz verdient. Wer nicht stumm vor Wundern steht, fühlt sich nicht aufgerufen, sie für andere zu bewahren. Mit dem Staunen, dem Wundern gemeint ist auch das, was im Buddhismus Anfängergeist genannt wird – sieh die Dinge, als hättest du sie noch niemals zuvor gesehen. Nimm alles, als wäre es gänzlich neu. Fühl dich eingeladen, heute zu staunen, dich zu wundern (das kann man ja in viele Richtungen) und alles anzuschauen, als wäre es neu und du wüsstest noch nichts darüber.
Einen liebevollen Freitag in die Runde. Für manche enden nun schon die Urlaubstage in Bayern, die anderen starten in der zweiten Hälfte in die Ferien – allen gute Fahrt, gutes An- und Nachhausekommen.
DAS wird mit Sicherheit eines meiner Lieblingsfotos des Jahres von Steffi. DANKE.
Virchows Wunsch nach „gescheiten Gedanken“ ist vermutlich zeitlos. Wir könnten alle mehr gescheite Gedanken gebrauchen in diesen Zeiten. Das fällt uns schwer, weil unser Gehirn gefühlt matschig wird durch den Konsum asozialer Medien, die Aufmerksamkeit heischend wie einst Tamagotchis quengeln. Haben wir uns vor Jahrzehnten über diese kleinen Nervtöter aufgeregt, sieht man heute kaum einen Menschen irgendwo ohne seinen Taschenkobold. Dem gehört die Aufmerksamkeit. Da ist kein Raum mehr für große Geistesentwürfe.
Ist uns bewusst, wie viel Zeit für diese Dinge draufgeht und wie zerstückelt unsere Fähigkeit zur Konzentration dadurch wird? Merken wir, dass wir gar nicht mehr in so ein gutes Gefühl beim Arbeiten kommen, das erst entsteht, wenn wir uns so richtig in eine Sache hineingefuchst haben und irgendwann total begeistert merken, dass wir gerade megagut vorankommen, Flow genannt? Unsere Lebensweise verhindert Flowmomente. Wir haben es in der Hand, ob wir unsere Aufmerksamkeit irrelevanten Dingen schenken und viel länger irgendwo verweilen als gut für uns ist oder ob wir uns bewusst rausziehen aus der Flut und immer wieder in die Stille gehen. Nur dort könnten wir auch mal gescheite Gedanken haben. Gedanken haben wir jeden Tag rund 60.000. Sie sind halt nicht immer gescheit, sondern erzählen uns das immer Gleiche. Ab mit uns in die Natur, die Stille, den Rückzug. Fern aller Medien, allem Geschwätz. Laden wir sie ein, die guten Gedanken.
Allen einen freudigen Jupitertag!
Kunst auf dem Weg durch Nordspanien. Dieses Mal ist Theresa an der Nordküste von Bilbao aus gewandert. Ein wunderschöner Weg am Meer entlang, mit vielen Aufs und Abs. Bis auf die letzten 150 Kilometer vor Santiago war wenig los auf dem Camino. Und wer da schon ein paar Mal war, muss nicht immer dort aufhören.
Unverhofft kommt oft. Nette Post, ein freundliches Mail – wir haben jeden Tag so viele Momente, in denen Freude aufkommen darf. Die Luft hat abgekühlt, für alle, die unter der Schwüle gelitten haben, ein Grund zur Freude. Wir brauchen jeden dieser Momente, um stark zu bleiben gegen all das, was von Außen auf uns einprallt. Keinen lassen die Bilder aus dem Ausland kalt, die uns in diesen Tagen erreichen. Meldungen, die uns in Schrecken versetzen, egal aus welcher Richtung sie stammen. Katastrophen, Unglücke, Tornados, die Häuser fressen, Menschen, die verschwinden, unerklärliche Dinge, die in uns Angst auslösen.
Und dazwischen die Freumomente. Der reife Apfel, die Beeren, die jetzt rot werden, das Wachsen der Quitten. Die Erstklässler, die bald eingeschult werden und aufgeregt auf ihren neuen Ranzen schauen. Menschen, die bald zum Monatsanfang eine neue Arbeitsstelle antreten.
Im Wartezimmer beim Arzt sah ich viele Menschen ein- und ausgehen. Eine Radiologie ist nicht notgedrungen nur der Ort guter Nachrichten. Junge Menschen mit Sportverletzungen, die hoffentlich heilen. Diagnosen, die das gesamte Leben umkrempeln. Menschen, die Kontrastmittel getrunken haben, weil im Bauch etwas zwickt und die darauf hofften, dass im CT nichts leuchtet. Eine junge Frau, die umgekippt ist und auf eine Trage gelegt und zugedeckt wurde. Ein Mann, der vergeblich versuchte, seiner Frau die Angst vor „der Röhre“ zu nehmen. Eine Seniorin, die herauskam und ihre Freundin anbrüllte: „Das ist mal ein Krach da drin!“ und die Angesprochene antworte froh: „Das ist doch gut, wenn die da lachen!“ Das war so der Moment im Wartezimmer, in dem ein spontanes Lachen aufkam und die Stimmung in Sekunden etwas lockerer wurde. Die Kraft von Lachen ist stärker als jede Angst. Ich muss immer noch lachen, wenn ich an die beiden alten weißhaarigen Freundinnen denke. Zauberschön.
Sorgen wir dafür, dass wir jeden Tag etwas Freude auf dem Plan haben. Dass wir mit anderen gemeinsam lachen dürfen. Halten wir uns fern von vielen Medien, die uns nur Angst bescheren. Für eine gute mentale Gesundheit, die die Grundlage aller anderen Gesundheiten ist. Denn sonst behält die weise Hildegard Recht: viele Krankheiten sind heilbar aber eben nicht alle Patienten.
Allen einen freundlichen und bewegenden Merkurtag!
Der Mönchspfeffer wird von Bienen gern besucht.
Sechs Tage die Woche findet ihr hier Dinge, die uns gerade bewegen, ärgern, wundern. Heute findet ihr nichts dergleichen. Nur eine freundliche Erinnerung daran, dass nichts selbstverständlich ist und ein „Nichts“ auch mal gut tut.
Allen einen tatkräftigen Marstag!
Von Rosa bis Lachs changiert diese Rose in unserem Garten. Stets eine Freude.
Einen Ausschnitt aus Schillers „Sprüche des Konfuzius“ haben wir vor Jahren in der Sprachgestaltung gelernt. Das fiel mir am Wochenende wieder ein, als ich meine trocken gegrillte Wäsche von der Terrasse ins Haus holte und meine Gedanken von hier aus in die Welt flogen. In die Gebiete, in denen die Hitzewelle Tausenden von alten und kranken Menschen das Leben kostet oder Brände die Existenz zerstören. In die Gebiete, in denen Krieg herrscht und Angst die Menschen verzweifeln lässt. In die Überschwemmungsgebiete und in die Häuser, denen man nicht ansieht, dass dahinter Sorgen und Ängste lauern um Angehörige, um einen selbst. Unter jedem Dach ein Ach.
Weil das so ist, dürfen wir in mancher Hinsicht auch immer wieder ein wenig getröstet sein. Wir sind nie allein mit Wut, Trauer, Angst und Sorge. Ein so großes Feld aus fast neun Milliarden Menschen kann das auffangen, wenn es grundsätzlich auf einem guten Level schwingt. Es beginnt immer bei mir selbst. Verbinde ich mein Denken, mein Fühlen und mein Wollen? Bilden Bauch- und Kopfgehirn mit der Kurve um die Herzensweisheit ein Team? Sind sie gleichberechtigt am Tisch bei unseren Entscheidungen? Können wir sie alle drei gut befragen und ihre jeweiligen Argumente wahrnehmen? Sind wir innerlich befriedet oder eher auf dem Kriegspfad? Sind wir freundlich gegen uns, damit wir es auch zu anderen sein können? Haben wir Gleichgewicht im Leben zwischen Geben und Nehmen, Stress und Erholung? Hast du genug Herausforderungen in deinem Leben, damit du wunderbar wachsen kannst, erschlagen dich die Herkulesaufgaben oder bist du gar gelangweilt in einer Sackgasse gefangen?
Es beginnt mit dir. Wohin willst du? Geh einfach den ersten Minischritt los. Wer täglich kleine Schritte tut auf seinem Weg und übt, wird schneller ein Meister als der, der viel schwätzt und auf die Siebenmeilenstiefel, das Wunder oder etwas im Außen wartet. Eine zwei Meter hohe Sonnenblume wächst nicht über Nacht, sie schiebt sich kontinuierlich der Sonne entgegen. Die Spinne spinnt ihr Netz Faden um Faden, sonst bleibt sie hungrig. Der Vogel baut sein Nest Halm für Halm. Wir denken oft „schnipp!“ und dann ist etwas geschafft. Schauen wir einfach hin, wie es die Meister regeln. Dann kannst du nachahmen und irgendwann dein Eigenes finden. Im Anfang liegt alles. Nimm den Anfang bewusst wahr und gestalte ihn. Sonst gestaltet er dich.
Allein einen erfolgreichen Wochenanfang!
Steffi hat mit ihrer Kamera mal wieder an ihrem Lieblingssee gezaubert. Danke!
Sprüche des Konfuzius
Dreifach ist der Schritt der Zeit:
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit.
Keine Ungeduld beflügelt
Ihren Schritt, wenn sie verweilt.
Keine Furcht, kein Zweifeln zügelt
Ihren Lauf, wenn sie enteilt.
Keine Reu, kein Zaubersegen
Kann die stehende bewegen.
Möchtest du beglückt und weise
Endigen des Lebens Reise,
Nimm die zögernde zum Rat,
Nicht zum Werkzeug deiner Tat.
Wähle nicht die fliehende zum Freund,
Nicht die bleibende zum Feind.
Dreifach ist des Raumes Maß:
Rastlos fort ohn Unterlass
Strebt die Länge; fort ins Weite
Endlos gießet sich die Breite;
Grundlos senkt die Tiefe sich.
Dir ein Bild sind sie gegeben:
Rastlos vorwärts musst du streben,
Nie ermüdet stillestehn,
Willst du die Vollendung sehn;
Musst ins Breite dich entfalten,
Soll sich dir die Welt gestalten;
In die Tiefe musst du steigen,
Soll sich dir das Wesen zeigen.
Nur Beharrung führt zum Ziel,
Nur die Fülle führt zur Klarheit,
Und im Abgrund wohnt die Wahrheit.
Friedrich Schiller, 1759-1805
Steffi hat die ersten Herbstboten entdeckt. Danke!