Die größte Nachsicht mit einem Menschen entspringt aus der Verzweiflung an ihm.
Marie von Ebner-Eschenbach, 1830-1916
Wie startet dein Tag? Bei Stephanie draußen in der zauberhaften Winterlandschaft. Danke für dein Bild!
Mitgefühl – aus allen M-Tugenden habe ich dieses Wort gewählt, weil es wie kein zweites Bestandteil meiner täglichen Arbeit ist. Mitgefühl bedeutet: Ich fühle deinen Schmerz, deine Wut, deine Trauer, deine Angst. Ich verstehe, wie dich das belastet. Ich helfe dir, das zu wandeln oder vielleicht anders damit umzugehen. Doch ich beleidige dich nicht durch Mitleid. Ich sitze dir nicht gegenüber und sage „Das kenne ich auch, bei mir war das aber so viel krasser, damals, als …“, ich wiegle nicht ab mit: „Da musst du dich mal zusammenreißen“ oder gar „Weißt du, in meinem Leben ist das alles viel schlimmer, weil …“. Mitleid nimmt sich oft den Divenplatz auf der Bühne und die Person, der es schlecht geht, kommt sich mies, klein und quengelig vor.
Mitgefühl entsteht aus dem Herzen. Es kennt Schmerz. Es kennt Leid. Es weiß um die belastende Kraft von Leid, doch auch um die Kraft, die entsteht, wenn man es umwandelt, in sein Leben einschreibt, weil es nun mal Bestandteil unserer Biographie ist (das, was wir ins Leben und das Leben in uns einschreibt). Das annehmen können ist ein langwieriger Prozess, darin steckt erlösende Kraft. Was uns begegnet, kann uns stark machen, verwandeln, vielleicht auch erst auf destruktive Irrwege schicken, letztlich ist es das, was zu uns gehört und was zu lernen ist. Was nichts darüber aussagt, ob wir diese Lektion jemals gewollt hätten, oft ist das sicher nicht der Fall, dass wir um Probleme gebeten haben.
Wie gut, wenn jemand da ist, der mitfühlt. Halt anbietet. Lauscht und achtsam schaut, was jetzt gebraucht wird. Eine Umarmung? Ein warmer Tee? Ein liebevoller Blick? Etwas ganz anderes? Jeder kann mitfühlend sein und jeder kann auf Mitleid verzichten.
Allen einen liebevollen Wochenteilungstag.
Hoffentlich allen, die das brauchen, eine solche Klönschnackbank heute. Danke an Sigrid für das Foto!
Bei Tugenden mit L fielen mir als Erstes die christlichen Kardinaltugenden Glaube, Hoffnung und Liebe ein, dann tauchte das Wort Lebensfreude auf. Lebensfreude! Wie oft ist das ein Begriff, der in unseren Ressourcen- und inneres Kraftteam-Aufstellungen auftaucht und dann als wunderbares Geschenk erlebt wird, wenn er ins Bewusstsein erneut tritt. Lebensfreude ist in uns allen grundgelegt, doch oft genug verlernen wir den Zugang dazu.
Lebensfreude ist subjektiv, jeder empfindet an anderem Freude. Im dritten Jahrhundert vor Christus beschrieb Epikur Lebensfreude als das, was entsteht, wenn wir Furcht, Schmerz und Begierden überwinden, wir vom Außen unabhängig werden und bescheiden sind. Dem Hungrigen verschafft eine Mahlzeit Lebensfreude, dem Durstigen Wasser. Wir in unserem Überfluss verlernen Lebensfreude oft und verwechseln es mit dem KdK – Kick durch Konsum. Das schafft keine Lebensfreude im Herzen.
Ein Ikigai verschafft Lebensfreude – der Grund, morgens aufzustehen, darf ruhig etwas sein, was mein Herz wärmt. Es ist nicht wichtig, ob mein Ikigai darin besteht, die Kinder gut zu erziehen, die Straße zu kehren oder Computer zu programmieren. Wenn es das ist, was ich mit voller Begeisterung mache, ist es ein Ikigai vom Feinsten. Menschen, die ihrer inneren Bestimmung folgen, empfinden viel häufiger Lebensfreude als andere, die fremdbestimmt oder in Opferhaltung durchs Leben gehen.
Lebensfreude hat viel mit Dankbarkeit zu tun – dankbare Menschen sind glücklicher und sie erleben ihr Leben oft als wesentlich erfüllter und sinnvoller, weil ihr Bewusstsein stärker auf die positiven Seiten des Lebens gerichtet ist und wahrnimmt. Was tust du heute, um die Lebensfreude fühlen zu können? Schneeflocken bestaunen? Eine Nuss knacken und genießen? Bewusst einen Tee trinken? Atmen und wissen: Ich bin? Habe viel Entdeckerfreude. Lebensfreude ist übrigens ansteckend im besten Sinne.
Einen tatkräftigen Dienstag!
Wenn ich an Lebensfreude denke, fällt mir als Bild nur Maikes Gipfelfoto ein. Für sie ist es das höchste Glück, auf einem Berggipfel zu stehen und dieses Jahr hat sie sie Alpen überquert. Lebensfreude in ihrer Sprache heißt Bergmensch sein. Bei dir? Danke für dein Foto, Maike!
Klugheit. Für Platon die Voraussetzung für jegliche Art von Tugend. Er unterschied Sophia, die Weisheit, und Klugheit, Phrónesis. Aristoteles beschrieb in der Nikomachischen Ethik Phrónesis unterschiedlich, zum einen als Wissen, zum anderen als „eine bestimmte Fähigkeit zur Orientierung eigenen und fremden Handelns“. Wir verbinden Klugheit oft mit dem Aspekt von Weisheit – jemand hat viel erlebt, erfahren, erkannt, für sich durchgearbeitet und kann aus dieser Warte eine andere Einschätzung geben.
Für mich sind kluge Menschen oft auch belesen und an vielem interessiert. Weitsichtig, nicht schnell wertend. Sie blicken auf Erfahrungsschätze und sind klug genug, sie anderen nicht aufzuzwingen. Sie handeln übersichtlich, überlegt und aus einer ruhigen Mitte heraus. Sie sind klug genug, im richtigen Moment den Mund zu halten, zu handeln oder sich zurückzuziehen.
Kluge Gespräche sind seltener geworden. Wir oberflächeln uns durch das Leben, downloaden gegenseitig unseren Text. Was der Gesprächspartner wahrhaftig meint und fühlt, nehmen wir nicht mehr so genau wahr, weil wir das Lauschen mit dem Herzen verlernt haben. Nur durch die Verbindung von Kopf, Herz und Bauch wird aus Verstand und Wissen Weisheit, die uns und andere trägt.
Allen einen feinen Start in die neue Woche!
Manche Vögel schaffen etwas, was uns oft fehlt: Metaebene. Katja hat so einen Vogel im Bild festgehalten. Dankeschön!
In dieser praktischen Anwendung nun wird der Verstand Klugheit, und, wenn sie mit Überlistung Anderer geschieht, Schlauheit genannt, auch wohl, wenn seine Zwecke sehr geringfügig sind, Pfiffigkeit, auch, wenn sie mit dem Nachtheil Anderer verknüpft sind, Verschmitztheit. Hingegen heißt er im bloß theoretischen Gebrauch Verstand schlechtweg, in den hohem Graden aber alsdann Scharfsinn, Einsicht, Sagacität, Penetration; sein Mangel hingegen Stumpfheit, Dummheit, Pinselhaftigkeit usw.
Arthur Schopenhauer, 1788-1860
Manuela war auf verschneiten Wegen unterwegs und hat uns dieses Foto mitgebracht. Danke dir!
Hingabe – eine feine Tugend. Laut Wörterbuch eine starke Leidenschaft für etwas, von etwas stark berührt werden, zudem die Bereitschaft, sich für etwas einzusetzen bis zur Selbstaufopferung. „Devotion“ meint, sich von ganzem Herzen für etwas engagieren, was für die Person von allerhöchstem Wert ist.
Das Spannende bei der Hingabe ist, dass sie eine andere innere Geste hat als Leidenschaft oder Eifer. Hingabe ist wie ein Atmungsprozess: Sich etwas zuwenden. Sich öffnen. Empfangen. Und oft aus tiefster Überzeugung und Liebe zu etwas selbstvergessen handeln. Der Hingebende atmet ein, was ist, erkennt, was gebraucht wird und mit der Selbstverständlichkeit des Atemstromes gibt er, was not-wendig ist.
Hingebungsvolle Menschen tun, was sie lieben, sie gehen in dem auf, wonach sie streben und sie folgen ihrer inneren Kompassnadel ungeachtet aller anderen Meinungen im Außen.
Im Businessalltag sprechen wir heute gern von Commitment – die Hingabe eines Mitarbeiters an seine Aufgabe und das Unternehmen.
Wo gibst du dich ganz hin? Wo folgst du deiner inneren Kompassnadel?
Hab ein feines drittes Adventswochenende!
Diese zauberschöne Blüte gibt sich ganz hin, um den Betrachter zu erfreuen. Sie ist. Danke an Sigrid für das Foto!
Gemütsruhe – was für ein herrliches Wort! Über Gemüt schreibt Kluge im Etymologischen Lexikon, es sei „Gesamtheit der seelischen Kräfte und Sinnesregungen“ oder „Sitz der Empfindungen“, die Ruhe ergänzt das Wort durch vielleicht Ausgewogenheit der Kräfte, keine heftige Bewegung. Wir würden es heute Gelassenheit nennen oder innere Ruhe als Gegenpol zum stressigen Alltag. Den Stoikern wird diese Qualität gern nachgesagt (in Form von Ataraxis und Apatheia) mit dem Auftrag, im Hier und Jetzt zu sein. Martin Heidegger hat dann in den 50er und 60er Jahren viel über Gelassenheit philosophiert als Gegenpol zur Hektik des modernen Lebens.
Wir sprechen in den Ausbildungen häufig von Upekkha, das Sanskritwort steht für „Gleichmut“ und gehört zu den vier grenzenlosen Geisteszuständen Liebende Güte/Maitri/Metta, Mitgefühl/Karuna, Mitfreude/Mudita und eben Gleichmut, Gelassenheit oder Gemütsruhe/Upekkha/Upeksa. Dort beschreibt Upekkha auch Loslassen, nicht anhaften und die Weisheit der Gleichheit erkennen getreu dem Gedanken „Mögen alle Wesen glücklich ein“.
Das Rudolf Steiner zugeschriebene „Ergebenheitsgebet“ enthält die Zeilen: „Was auch kommt, was mir auch die nächste Stunde, der nächste Tag bringen mag: Ich kann es zunächst, wenn es mir ganz unbekannt ist, durch keine Furcht ändern. Ich erwarte es mit vollkommener Seelenruhe, mit vollkommener Meeresstille meines Gemüts“. Dieses Bild empfinde ich in Zeiten fehlender Gemütsruhe als enorm hilfreich.
Allen heute einen Tag mit möglichst viel Meeresstille des Gemütes.
Noch mehr Stille erlebt man an einem See, so, wie ihn Stephanie hier für uns fotografiert hat. Danke dir!
Lass deinen Geist still werden wie einen Teich im Wald. Er soll klar werden, wie Wasser, das von den Bergen fließt. Lass trübes Wasser zur Ruhe kommen, dann wird es klar werden, und lass deine schweifenden Gedanken und Wünsche zur Ruhe kommen.
Buddha
Stephanie hat so einen Teich entdeckt. Danke für dieses Bild!
Freundlichkeit ist eine wundervolle Tugend. Freundliche Menschen machen das Leben um so vieles leichter! Sie sagen Bitte und Danke. Sie halten die Tür auf. Sie erkundigen sich, wie es Oma, den Kindern, der kranken Katze geht. Sie sagen nicht: „Was solln das, das mach ich nicht“, sondern versuchen es mit: „Hm. Kann es sein, dass du gerade überlastet bist? Kann ich dir was abnehmen?“
Ein „Schleich dich“ kann man freundlich formulieren: „Wir können gern heute um 15 Uhr darüber sprechen. Bis nachher!“, Kritik höflich verpacken: „Der Brief ist sehr gut formuliert. In der vorletzten Zeile bitte statt Meyer Meier. Danke für Ihre Arbeit!“ Sehr schätze ich es, wenn Menschen freundlich zu sich selbst sind statt vernichtender Narrative Marke „Du bist doof! War klar, dass das mal wieder in die Hose geht. Wie immer halt!“ Wie klingt das: „Dieser Versuch war schön mutig. So geht es nicht, also muss ich was nachbessern. Vielleicht hat xy noch einen guten Tipp dazu.“
Bereit für eine freundliche Challenge? Ich lade dich ein, bis zum Freitagspost (der naturgemäß erst gegen Mittag kommt) überwiegend freundlich ZU DIR SELBST zu sein. Finde raus, wie sich das anfühlt.
Eine wunderbare Herausforderung war am Dienstagabend in der Alten Synagoge das Thema Blockaden. Einige Menschen wissen nun, dass sie ein phänomenal reichhaltiges Leben haben mit spannenden Momenten, die uns wachsen lassen. Schön war es wieder! Danke euch fürs Kommen!
Allen einen freundlichen Jupitertag!
Zum Erwerben eines Glückes gehört Fleiß und Geduld, und zur Erhaltung desselben gehört Mäßigung und Vorsicht. Langsam und Schritt für Schritt steigt man eine Treppe hinauf. Aber in einem Augenblicke fällt man hinab und bringt Wunden und Schmerzen genug mit auf die Erde.
Friedrich Hebbel, 1813-1863
Sigrid hat diese steile Treppe fotografiert. So geht es uns vermutlich allen in diesen Tagen – das Leben kann sehr mühsam erscheinen, so, wie das Erklimmen dieser Stufen. Danke für dein Bild.
Ehrfurcht – ein spannendes Wort. Im etymologischen Lexikon (nicht umsonst „Kluge“) findet sich: Aus Ehre und Furcht zusammengesetzt, „um die Ehre besorgt“. 1896 definierte der Brockhaus Ehrfurcht als den höchsten Grad der Ehrerbietung, das Gefühl der Hingabe an dasjenige, was man höher schätzt als man selbst – sei es eine Person oder etwas wie Vaterland, Menschheit, Gott, Wissenschaft etc.
In der Psychologie gehört Ehrfurcht nicht zu den Grundemotionen und wird erst seit wenigen Jahren erforscht. Ein Charakteristikum (unter anderen) ist ein Bewusstsein für Größe und Weite.
Oft erleben wir das in der Natur. Wenn wir in einer Landschaft unterwegs sind, die uns beeindruckt durch Urwüchsigkeit, Ursprünglichkeit, vielleicht auch Rauheit, werden wir innerlich still. Die Schönheit dieser Natur jenseits menschlicher Eingriffe rührt unser Herz und wir empfinden inneren Respekt (den wir leider nicht auf unseren Alltag übertragen).
Albert Schweitzers Ausspruch „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ gehört zu seinen Gedanken „Ehrfurcht vor dem Leben“. Für mich ist Ehrfurcht nahe an Demut. Ich übe das Gefühl gern im Alltag mit einer Übung aus der Eurythmie, dort gibt es das Ehrfurchts-E, mit dem wir uns mit unserer Umgebung in Licht und Wärme verbinden können. Hier könnt ihr das wunderschön von #Theodor Hundhammer erklärt erleben: https://www.youtube.com/watch?v=J3oXrk3ddMk
Damit allen einen bemerkenswerten Mittwoch.
Danke an Stephanie für dieses herrliche Bild aus der Schweiz!