Meine Schwiegermutter hat ihren 97. Geburtstag gefeiert. Das allein ist schon mal krass und ungewöhnlich. Sie lebt seit dem Tod ihres Mannes alleine, versorgt sich nach wie vor weitgehend selbst bis auf schwere Sachen zum Tragen und Reparaturen, um die sich mein Schwager kümmert, kauft noch selbst vieles ein und hat es sehr bedauert, dass sie wegen ihrer schlechten Augen nicht mehr loslegen kann mit Handys und PC.
Am Wochenende ist Christoph zu seiner Mutter gefahren, unsere große Tochter kam von Hannover an, so war es festlich, aber nicht zu viel. Ein Geburtstag in dem Alter soll die Menschen nicht überlasten. Sie hatten einen tollen Tag zusammen, Schwiegermama hat einen Apfelkuchen gebacken, für die Torte hat Theresa gesorgt und so konnten sie den ganzen Tag beieinander sein und sich austauschen.
Schwiegermama ist mega interessiert an allem. Sie fragt, hat echtes Interesse und ist hier in meiner Praxis eine wichtige Stütze, denn sie übernimmt die Gebete für alle Klienten. Wenn hier ein Klient eine OP hat, wirklich geistigen Beistand braucht, mit einer schlimmen Diagnose belastet ist, sonstige Sorgen hat – sie betet jeden Tag für alle Menschen, die zu uns kommen, damit sie wieder schnell Lebensfreude empfinden können. Ich glaube, dass das einen wichtigen Teil des guten Feldes hier ausmacht. Oft hat sie gesagt, wie gern sie an den Kurswochenenden helfen würde mit dem Kochen, denn das macht sie gern. Allerdings trennen uns gut vier Stunden Fahrt, da kann man nicht mal eben vorbeischauen.
Was ich bewundernswert finde: Ich habe sie noch nie klagen hören. Auch sie hat manches, das ihr Leben wirklich beeinträchtigt und schwer macht wie Probleme mit den Augen, den Hüften und vielem mehr. Für sie ist das ein Grund, gut für sich zu sorgen, sie schluckt ihr Hagebuttenpulver und macht Gymnastik jeden Tag und kann es kaum erwarten, dass die Gartenarbeit wieder losgeht und sie draußen in ihrem Garten buddeln und allem beim Wachsen zusehen kann. Natürlich wird nach wie vor vieles vom Garten verarbeitet, was sie nicht frisch isst, denn Vorräte für den Winter sind wichtig, das weiß sie nach 97 Lebensjahren.
Es kommt von ihr kein böses Wort über jemanden oder etwas. Sie ist zufrieden und dankt jeden Tag, dass sie noch lebt. Sie nimmt die Dinge, wie sie kommen, in restloser Ergebenheit. Sie versucht zu verstehen, was ihr nicht verständlich erscheint. Die moderne Welt überfordert sie in manchem, dennoch fragt sie, erkundigt sich und staunt, was heute alles machbar ist. Sie war begeistert von einer Videokonferenz, die wir mit ihr gemacht haben am Samstag, so konnte sie mit beiden Enkelinnen und mit sprechen, sie fand das großartig (und ein wenig doof, dass sie mit der Technik nun leider nicht mehr umgehen kann, weil ihre Augen das nicht möglich machen). Sie geht zum Gottesdienst und hält Kontakte, soweit es möglich ist. Sie ist die Älteste der Pfarrgemeinde und in ihrer Altersgruppe gibt es kaum mehr Menschen. Sie hat mehr Menschen bestattet als sie lebend kennt und verfolgt nach wie vor das Weltgeschehen. Keine Spur von Demenz. Sie hat für alles vorgesorgt, falls sie stirbt, alles ist geregelt, jeder weiß Bescheid. Sie will auch im Tod keine Mühe machen.
Ich lerne viel. Ich erlebe Altern in beiden Familien auf höchst unterschiedliche Weise. Man kann würdevoll altern und man kann wütend kämpfen. Man kann klar bleiben und in irgendeine Welt diffundieren. Man kann körperlich schwach werden und es annehmen oder darüber lamentieren. Ich beobachte und lerne. Ich denke – wie werde ich sein, falls ich alt werde? Wer weiß. Ich kann mich nur darum bemühen, eine gute Richtung einzuschlagen.
Bei all dem, was gerade da draußen geschieht – es gibt Menschen, die haben den Krieg voll erlebt. Sie wissen, wie das ist. Sie haben sich ihr Leben lang bemüht, so zu leben, dass in ihrem Feld Frieden herrscht. Sie brauchen keinen weiteren Krieg mehr, sondern Schutz und Fürsorge. So, wie das alle Menschen brauchen, egal wo auf der Welt. Allen einen friedvollen Tag. Frieden beginnt in deinem Herzen, in deinem Kopf.