Bescheidenheit: Angeblich ist sie „eine Zier“, doch „besser lebt man ohne ihr“. Bescheidenheit in diesem Sinne ist Verzicht auf Luxus und mit Einfachheit gleichgesetzt. Sie kann als Gegensatz zu Angeberei, Hochstapeln und Übermaß gesehen werden oder sogar negativ gemeint sein: „bescheidene Verhältnisse“ bedeutet: abgewrackt und ärmlich. Juristisch gibt es auch Bescheide, die sind oft unerfreulich.
Diogenes gilt als bescheiden, er gehörte den Kynikern an und vertrat die These, wer keinerlei Besitz hat, kann auch nichts verlieren, was – wenn man das Leben nicht einrechnet – in gewisser Weise stimmt.
Der Begriff Bescheidenheit hat viel Wandlung erfahren. Für uns heute ist er ein wenig zweischneidig. Ich mag ihn dennoch im Hinblick auf meine Schwiegermama. Sie lebt durchaus genügsam. Nachhaltigkeit hat sie mit Sicherheit als Wort nicht erkannt, aber voll gelebt. Bis sie vor wenigen Wochen ins Seniorenheim gezogen ist, hat sie in der Küche das Geschirr gesammelt und mit einer Füllung aus dem Wasserkocher sorgsam gespült. Abfall hatte sie kaum, alles wanderte in den Kompost, wurde verwertet. Als Kriegsgeneration kannte sie Genügsamkeit und wusste, dass man nicht fünf Kleider gleichzeitig tragen kann und wie man sie näht, pflegt und ausbessert. Es musste nicht dauernd etwas Neues her. Aus allem konnte sie etwas basteln oder es kreativ weiterverwenden. Mit ihren Dingen ging sie achtsam um. Das Messer, mit dem sie 70 Jahre lang in der Küche alles gemacht hat, ist ein Symbol des täglichen Gebrauchs gewesen, stets neu am Wetzstein geschliffen und immer kürzer und schmaler mit den Jahren.
Vielleicht stünde uns allen Bescheidenheit in diesem Sinne von Genügsamkeit und Achtsamkeit gegenüber den Geschenken der Natur gut zu Gesicht. In diesem Sinne einen wunderbaren zweiten Advent.
Schwiegermama vor zwei Jahren mit ihren selbstgepflanzten Tomaten im Garten, den sie noch in diesem Frühjahr das letzte Mal selbst umgegraben hat.