Freitags-Nachdenk-Input

Das Zitat von Rudolf Steiner ist über 100 Jahre alt. Steiner wünscht sich als soziale Grundtugend, dass sich die Menschen gegenseitig das Vertrauen schenken. Für einen Moment war das im Frühjahr vorhanden – die Menschen haben sich zurückgezogen und vertraut, dass Patienten gut versorgt werden, alles getan wird, um eine Katastrophe zu verhindern. Inzwischen machen wir eher die Erfahrung von Gräben, die wir zwischen uns ausheben, weil Meinungen unterschiedlich sind und Misstrauen statt Freundlichkeit toxisch unsere Adern durchströmt.

Vor den Erlebnissen dieses Jahres leuchtet das Zitat von Steiner für mich förmlich heraus. Wie oft erlebe ich das massive Leiden unter Vertrauensbrüchen in der Praxis. Die meisten Probleme der Menschen entstehen durch gestörtes Vertrauen. Ein Kind wird missbraucht – wem sollte es jemals wieder trauen können, wenn es das Schlimmste erfahren hat, wenn Menschen seine Integrität überrennen und ihrem Schutzauftrag für ein Kind nicht nachkommen? Partner betrügen sich und missbrauchen damit das Vertrauen, das in eine Beziehung gesteckt wird. Im Geschäftsleben wird Vertrauen missbraucht durch Diebstahl, in die eigene Tasche wirtschaften, jemanden übervorteilen. Im Sozialen unterstellen wir Menschen, die Hilfe beziehen, Faulheit, sich in der sozialen Hängematte ausruhen und vieles mehr in allen Bereichen unserer Lebenswirklichkeit.

Es ist vollkommen richtig, dass es immer und überall Menschen geben wird, die das Vertrauen verspielen. Auf der anderen Seite stehen Millionen Menschen, die das nicht tun. Wenn ich den Tonfall betrachte, der in den Medien herrscht, das Gefühl von fehlerhafter oder mangelhafter Information, die Tatsache, dass wir keinen klar kommunizierten Fahrplan haben für den Herbst, was die Pandemie betrifft und die Bundesländer aus politischen Gründen eigene Suppen kochen, anstatt dass sich wenigstens innerhalb eines Landes die Menschen einigen, was gesunder Menschenverstand sein könnte, stelle ich fehlendes Vertrauen fest. Menschen trauen sich nicht einmal mehr selbst. Sie können weder ihrer Wahrnehmung vertrauen (was durchaus richtig ist, denn wir sehen die Welt nie, wie sie ist, sondern so, wie wir selbst sind) noch ihren Beziehungen (was tragisch ist) noch sich selbst (was uns in tiefste Verzweiflung stürzen kann).

Vertrauen beginnt mit einem Vorschuss in den anderen Menschen. Ich schenke ihm mein Vertrauen erst einmal ohne Grund und Anspruch. Damit bekommt der andere die Möglichkeit, das Vertrauen zu rechtfertigen oder zu enttäuschen. Enttäuschung bedeutet Ende der Täuschung, ich weiß also über den anderen Bescheid in der Zukunft. Ich ziehe jedoch daraus keinen Allgemeinschluss auf die Menschheit, sondern auf eine Person.

Wir werden immer mehr gezwungen, uns miteinander auf neue, gute und auf „gesundem Menschenverstand“ (falls ihn jemand findet, bitte melden) basierende Weise an einen Tisch zu setzen, um die Fragen der Menschheit zu lösen. Jeder, der an diesem Tisch sitzt (also alle Menschen auf dem Planeten) wird freundlich gebeten, Vertrauen mitzubringen, nur so können wir uns an unsere guten Seiten erinnern. Wem Misstrauen begegnet, handelt gemäß der selffullfilling prophecies „Hab ichs doch gleich gesagt, denen kannst du nicht trauen!“ Es braucht Ruhe, Besonnenheit, eine neue Form der Offenheit, sehr viel Lernbereitschaft und die Fähigkeit, mit dem Herzen zu lauschen, den Verstand einzuschalten und zu versuchen, wertungsfreier zu werden. Dann kann Vertrauen wachsen. Vertrauen braucht Raum, Fürsorge und ein paar Zutaten wie gegenseitige Wertschätzung, auch wenn die Ansichten divergieren, die Fähigkeit, das Ego zu beschneiden und den Mut, zunächst unvorstellbare Wege zu probieren.

Allen einen Venustag voller Vertrauen. Beginnen wir wie immer bei uns selbst: trauen wir uns heute selbst über den Weg. Trauen wir uns zu, heute so zu handeln, wie die beste Version von uns handeln würde. Was würde das Vertrauen tun? Was würde die Liebe tun? Was tue ich?

Manuela hat die Hummel im Bild festgehalten. Dankeschön dafür!

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