Heute löst sich von den Zweigen, was der Wind herunterrüttelt. Der Regen lässt die Quitten wachsen, das ist sehr gut.
Ein erstaunliches Wochenende. Die angehenden Heilpraktiker für Psychotherapie haben sich mutig in den zweiten Kurstag gestürzt, der erste mit „Vokabelkunde“. Da wird man das erste Mal mit den Fachbegriffen konfrontiert und bekommt eine Ahnung, wie die nächsten Monate werden. Spannend auf jeden Fall.
Am Samstag sind wir tief in die Familiengeschichte abgetaucht, denn eines der Kinder sammelt Unterlagen für einen Stammbaum. Es ist erschreckend, wie wenig wir manchmal über unsere Vorfahren wissen und wie viele Irrungen und Wirrungen es geben kann. Wir haben in der Ahnenreihe Hofmann, eine Generation zuvor steht dann in den Urkunden Hoffmann. Sigried oder Sigrid? Beide Male die gleiche Person, in Urkunden verschieden notiert. Puuh! Wenn das immer so ist, lassen sich viele Menschen gar nicht mehr nachforschen, weil durch Schreibfehler aus einem Hof-Mann ein Hoff-Mann geworden ist, was nicht nur sprachlich einen gewaltigen Unterschied ausmacht.
Auch spannend, wie eng die Umkreise früher waren zum Heiraten und wie weit entfernt heute die Ehepartner aufgewachsen sind, der modernen Zeit geschuldet. In der Ahnenforschung wird einem bewusst, was Wanderungen, Vertreibungen, Kriege mit Familien machen. Uralte Fotos haben wir angeschaut, weit über 90 Jahre alte Bilder. Manches wurde durch die Kriege durchgerettet, fand in Koffern eine Heimat und da sitzt man und überlegt: wer ist das? Menschen verändern sich im Lauf ihres Lebens, die einen mehr, die anderen erkennt man von Kindheit an und sie bleiben gefühlt konstant in der Optik, sie werden nur älter. Das ist erstaunlich, wie stark die Lebensereignisse auf Menschen unterschiedlich wirken.
Es ist tragisch zu sehen, wie junge Leben durch Kriege ausgelöscht wurden, Jungs, die gerade mal die Schule fertig hatten, dann den „Heldentod“ gestorben sind und es die „traurige Pflicht“ ist, der Familie selbigen Heldentod mitzuteilen und dass es kein Grab gibt (nicht schwer vorstellbar, was übrig blieb nach einem Bombenangriff, wenn man nichts mehr bestatten kann). Nicht einmal ansatzweise können wir uns heute diese Momente vorstellen, in denen Eltern solche Post bekommen mit dem Hinweis „die wenigen Hinterlassenschaften Ihres Sohnes gehen Ihnen auf dem Postweg zu“.
Es finden sich andere Dinge: eine Elektrikerrechnung über 6 Mark. Die Feststellung, dass ein Schuppen projektiert wird, die Genehmigung dazu und dann die Mitteilung in Sütterlinschrift, der Schuppen sei nach seiner Projektierung jetzt fertiggestellt und seiner Bestimmung zugeführt worden. Da hat er sich vermutlich gefreut, der Schuppen, über seine „Bestimmung“. Wenn schon Schuppen Bestimmungen haben, was haben dann wir Menschen? Na also, think big.
Zeugnisse aus alter Zeit. Menschen werden wieder ins Bewusstsein gerufen und wir merken – wie weit reicht unsere Erinnerung zurück? Mancher kannte keine Großeltern, geschweige denn Urgroßeltern, es sind Namen aus Berichten der Altvorderen, die man Jahre nicht angehört hat, weil nervig und uninteressant, doch irgendwann stellt man fest – jetzt weiß keiner mehr was über Namen, Schicksale, Wohnorte. Spaßig: das ist doch der und der! Nein! Doch! Auf keinen Fall, das ist der Cousin! Welcher Cousin? Das ist der Neffe von xy. Nein, der Bruder von Z. Nach langem Puzzle: Jeder hat ein wenig recht. Je nachdem, von wo aus man schaut, kann jemand sehr wohl Bruder, Cousin, Neffe und Großvater sein.
Familie. Ein Geflecht über Jahrhunderte, verwoben mit Landschaften. Auch spannend – Bauern und Hofbauern, so weit das Auge reicht und Einträge über Konfessionen. Ein Ehevertrag vom Ende des 19. Jahrhunderts! Offenbar sehr moderne Vorfahren.
Wir haben gesehen: Schnell schwinden Erinnerungen. Menschen leben in den Genen weiter und ein paar Generationen lang in Erzählungen, dann verschluckt sie der Lauf der Zeit. Wenig überdauert, wobei Kriege ihr Übriges dazu getan haben, dass gar nichts mehr da ist. Was ist Heimat, was sind unsere Wurzeln und welche Bindungen stellt Familie her?
Allen einen guten Start in eine Woche voller Momente, in denen wir uns vielleicht über Familie freuen, daran denken, etwas von den Vorfahren zu notieren für spätere Generationen und uns bewusst werden, dass wir ein Wimpernschlag in der Geschichte der Menschheit sind. Und doch kommt es auf jeden Wimpernschlag an. Gerade jetzt.
Den Apfel zwischen dem Herbstlaub hat Gabi entdeckt. Danke!