Heute mal was von behind the scenes.
Seit 357 Tagen wohnt mein Bruder bei uns. Das bedeutet theoretisch: 1101 Katheter, 1101 Windeln. Rund 500 Maschinen Wäsche. Rund 300 Mal ein frisch bezogenes Bett. 714 Mal Zähneputzen und waschen. 357 Mal im Pflegebett Haare waschen, damit er sich gut fühlt. 1071 Mahlzeiten so zubereiten, dass sie für einen Diabetiker gut geeignet sind. Rund 700 Liter Tee. 180 Mal Wundversorgung des offenen Beins. 714 Mal Blutdruck und Fiebermessen.
Was bedeutet es praktisch? Einen Menschen auffangen, der Mama und Papa schnell hintereinander verloren hat und das wegen seiner Handicaps nicht wirklich verstehen kann. Ihm helfen, seinen schlecht eingestellten Zucker zu regulieren (wir sind bei der Halbierung ALLER Medikamente angelangt) und seinen Blutdruck sacht zu senken. Das offene Bein von „krass“ auf „vielleicht bekommen wir es zu“ hinzubekommen. Zu sehen, wie jemand Stück für Stück zurückkommt ins Leben, lacht, Freude hat, Puzzles baut, mit Spaß am Tisch sitzt, sich Menschen öffnen kann und sich stundenlang die Haare schneiden und bürsten lässt (was ich mir für die Fingernägel wünschen würde).
Resumee: Ein Vollzeitjob on top, was für Selbstständige durchaus eine Herausforderung ist. Manchmal könnte ich vor Erschöpfung nur heulen, manchmal bin ich stinkwütend auf Ämter, Behörden, Lieferanten, ihn und mich selbst, weil nix klappt. Immer öfter ist da eine große Dankbarkeit für die Erfahrung. Nie vorher war ich komplett für alles bei ihm verantwortlich. Er ist ein hervorragender – extrem sturer uneinsichtiger – Lehrer. Und ja. Seit drei Stunden warte ich auf den Wechsel der Dekubitusmatratze. Das war das Zeitfenster, das angesagt war und ich mit Mühe freigeschaufelt habe. Keiner in Sicht. Und bis das getauscht und das Bett den Jahres-TÜV hat, dauert es auch, falls jemand kommt. Und klar muss er gar nicht genau jetzt schlafen, weil er so müde ist, da er nachts kaum schläft und lärmt. Es ist, wie es ist.
Mahl-Zeit.