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Dienstags-Nachdenk-Input

Wolken ziehen auf. Gut, dass die Quitten abgeerntet sind und vom Wind nicht mehr von den Zweigen gerissen werden können. Es wird noch ein paar Tage in Anspruch nehmen, die Fülle zu verarbeiten. Köstlicher Duft zieht durchs Haus. Was für ein Geschenk der Natur Quitten sind.

So ein Aufstellungswochenende wirkt bei mir einige Zeit nach. Was man bei Aufstellungen für Einblicke in Lebensentwürfe, Schicksale, Irrungen und Wirrungen erhält, ist unglaublich und zeigt, wie tief jedes einzelne Leben verwurzelt ist mit der Geschichte der Vorfahren, mit Abweichungen vom geraden Lebensweg, mit Missverständnissen, Verletzungen, Annahmen. Wir glauben zu wissen, was andere Menschen denken und fühlen, über uns denken, uns gegenüber fühlen. Wir wissen es nur, wenn wir sie offen und ehrlich fragen und offene und ehrliche Antworten bekommen. Stürzen wir uns weniger in Vermutungen und fragen einfach. Reichen wir viel schneller, früher und loslassender die verzeihende Hand, damit Schicksalsfäden sich nicht verhaken und verwursteln. Menschen machen Fehler. Alle Menschen machen Fehler. Aber geben wir uns auch schneller die Chance, die Fehler zu erkennen, indem wir sie kommunizieren und tradieren wir sie nicht über mehrere Generationen hinweg. So sind Menschen viel freier, weil sie nicht das Drama ihrer Kindheit, oft genug das Drama der Kindheit der Eltern und Großeltern, immer wieder aufführen müssen, bis eines Tages jemand den Mut findet und hinschaut. Genau schaut. Mit wachem Kopf, offenem Herzen und Armen. Dann geschieht Erkenntnis, Ankommen, ganz werden dürfen.

Allen einen tatkräftigen Dienstag.

Danke an Theresa für das Foto einiger Kacheln in Portugal!

Seltsam

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den anderen,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allem ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

Hermann Hesse

Danke an Theresa für dieses unglaublich tolle Foto.

Montags-Nachdenk-Input

Was für ein erstaunliches Wochenende! Wie immer, wenn wir Aufstellungen haben, geschieht so unglaublich viel. Drei Menschen haben heute ihre tiefen inneren Anliegen aufgestellt. Drei Welten. Drei Einblicke in einen eigenständigen Kosmos. Drei Fragestellungen. Und doch geht es sehr oft um die Frage des Selbstrespekts, der Wertschätzung, darum, was Eltern  ihren Kindern mitgeben können und was nicht, was Menschen brauchen, um nicht mehr länger Sklaven ihrer Erinnerungen zu sein, die ihnen etwas vortäuschen können, was nicht wirklich so gewesen ist, sondern das, was unser Gehirn daraus gemacht hat.

Wie schön, wenn sich Dinge anfangen zu bewegen. Wenn Einsichten möglich sind, weil man „in den Schuhen eines anderen steht“, wenn sich das Feld öffnet und plötzlich alles still und Licht und Liebe wird. Das sind Gnadenmomente, die es dann gilt, in den Alltag „zu übersetzen“, in gangbare Schritte zu transponieren, die helfen sollen, das Leben wieder auf ein neues, gutes Gleis zu stellen, damit die nächsten Entwicklungsschritte gegangen werden können. Manchmal muss sich ein jahrzehntelanger Stau erst auflösen, damit die Bahn des Lebens wieder frei wird.

Wer bei solchen Arbeiten mit dabei war, kennt die Kraft der Gnade und erfährt am eigenen Leib, was es bewirkt, wenn das System in einen ganz freilassenden, liebevollen und schützenden Rahmen gestellt wird. Wenn hingeschaut wird, wo verdrängt worden ist. Wenn sprechen darf, was mundtot gemacht worden ist. Wer ein Thema, sei es beruflich oder privat, in einem sehr geschützten Rahmen aufstellen mag, kann das in diesem Jahr nur noch an einem einzigen Termin tun un das ist am 18. 11. um 14 Uhr, alle anderen Aufstellungstermine 2018 sind vergeben. Anmeldungen für den 10. 2. 2019 werden schon angenommen. Herzlich willkommen! Einfach Mail senden.

Allen eine gute, erfüllte und liebevolle neue Woche.

Ich ließ meinen Engel …

Ich ließ meinen Engel lange nicht los,
und er verarmte mir in den Armen
und wurde klein, und ich wurde groß:
und auf einmal war ich das Erbarmen,
und er eine zitternde Bitte bloß.

Da hab ich ihm seine Himmel gegeben, –
und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;
er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,
und wir haben langsam einander erkannt…

Rainer Maria Rilke, 22.2.1898, Berlin-Wilmersdorf

Danke an Christoph für den Engel in der Praxis und das Foto davon!

Wochenend-Nachdenk-Input

Aufstellungen werden am Sonntag auf dem Programm stehen und am Samstag der letzte intensive Übungstag der angehenden Cardea-Therapeuten. Im November schließen sie ihre zweijährige Ausbildung ab. Anfangs erscheint das sehr lange und wenn man kurz vor dem Ende steht, stellt man fest, dass es flugs vorbei war.

Immer wieder ist die Diskussion, ob man Ausbildungen auch kürzer machen kann. Nein. Fortbildungen können kürzer sein, aber Ausbildungen nicht. Sie vermitteln nämlich nicht nur Handwerkszeug für die künftige Arbeit, sondern sind auch persönlichkeitsbildend und nach wie vor wächst Gras nicht schneller, wenn man daran zieht. Auch wenn das manche nervt, aber es bleibt bei den zwei Jahren, weil es im Grunde ein Minimum ist.

Eine gute Kräuterfrau erhielt in alten Zeiten neun Jahre Ausbildung bei einer weisen alten Kräuterfrau und sie befasste sich jeweils ein ganzes Jahr mit einem einzigen Kraut, neun insgesamt. Es wurde ihr mit Sicherheit keinen Tag langweilig damit und die neun Jahre waren bestens investierte Zeit. Druiden lernten mindestens 20 Jahre, damit auch die sittliche Reife gewährleistet war, um selbst Könige beraten zu können.

Wissen und Weisheit erwirbt man in keinem Wochenendkurs, sondern in langer Erfahrung in und mit dem Leben und im Verfeinern dessen, was man als Handwerkszeug grundlegend gelernt hat. Erst mit den Jahren macht man das zu seinem eigenen, gelingt der Übergang zu angewandtem Handwerk und Kunst. Dann können wir auch in tiefer Ruhe und vollkommen achtsam aufstellen, wahrnehmen, Räume öffnen. So entsteht innerer Frieden und können die nächsten möglichen Schritte erfahrbar gemacht werden. So darf es sein.

Allen ein wunderschönes Wochenende.

Auf dem Weg sein

Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Höhen der Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die breit dahinfließenden Ströme, die Weite des Ozeans und die Bahnen der Gestirne und vergessen darüber sich selbst.

Francesco Petrarcra, 1304–1374

Danke an Theresa für das Foto von Porto, das sie aufgenommen hat, als die diesen Sommer von Porto bis Santiago di Compostela den Jakobsweg gelaufen ist.

Freitags-Nachdenk-Input

Alexander von Schönburg befasst sich in seinem höchst lesenswerten Buch „Die Kunst des lässigen Anstands“ mit etwas, was ich sehr schätze: Tugenden. Tugend klingt so altbacken und vorgestrig und meint doch nichts anderes als Ethik, Werte, innere Haltungen, die das Leben überschaubarer und lebenswerter machen. Tugenden können niemals out sein. Allerdings ist festzustellen (und das wussten schon antike Autoren zu beklagen), dass das kein allzu weit verbreitetes Phänomen ist.

Wir brauchen Tugenden im Alltag, damit er funktioniert. Wir müssen uns auf gewisse Dinge verlassen können, damit unser Leben rund läuft. Und die Voraussetzung dafür ist, dass wir selbst uns an Regeln halten, Werte haben, die nicht verhandelbar sind wie Menschenrechte, wie Meinungsfreiheit und vieles mehr. Das sind Errungenschaften, die wir nicht aufgeben dürfen und doch agieren wir sehr oft wider besseres inneres Wissen.

Am Mittwochabend hörte ich in einem Vortrag von Dr. Stefan Schmidt-Troschke, der lange Jahre in einer Kinderklinik in Herdecke gearbeitet hat, wie wichtig klare Richtlinien und Rhythmus in der Kindererziehung sind, wie Leitplanken brauchen die Kinder solche klaren Ausrichtungen, damit sie sich orientieren und in der Pubertät die Leitplanken auch mal durchbrechen können, um sich als Erwachsene eigene zu machen. Es braucht Klarheit, es braucht Ehrlichkeit, es braucht gutes Benehmen. Wir alle erwarten, dass unser Gegenüber sich ordentlich benimmt, uns keinen Schaden zufügt, uns mit Respekt und Wertschätzung behandelt. Ich kann es nur mit Gandhi sagen: „Sei du selbst die Veränderung, die du in der Welt wünschst.“

Allen einen wunderbaren Venus-Freitag.

Blätterfall

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,

Als welkten in den Himmeln ferne Gärten;

Sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde

Aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

Unendlich sanft in seinen Händen hält.

            Rainer Maria Rilke

 

Danke an Sigrid für das Foto, das sie auf dem Weg zur Arbeit entlang des Residenzgartens in Würzburg aufgenommen hat

Donnerstags-Nachdenk-Input

Hand kaputt. Fast jedenfalls. Der Grund ist der jährliche – Quittenernte. Rund 250 Kilo trägt der Baum in diesem Jahr, das erste Mal und das bei dem Hitzesommer. Allerdings merke ich das beim Verarbeiten. Quitten sind ja nie so wirklich weich zum gut verschaffen. Manches Mal wünschte ich mir schon ein Beil. Trotz Gießen ohne Ende sind sie in diesem Jahr wirklich pickelhart. Ich hab nicht mal ein Fünftel verschafft und überlege schon, wie ich meinen Handteller schütze, wenn ich mich mit voller Kanne auf das Messer stütze. Der Lohn für eine Stunde Quitten kleinhacken – nicht mal 2,5 Liter Saft. Und warum tut man sich das an?

Ganz einfach. Wenn die Quitte gewaschen und der Flaum abgerieben wird, steigt ein betörender Geruch auf. Kocht man sie, stehen nicht nur die Wespen vor dem Fenster Schlange (dumm gelaufen. In diesem Jahr gab es Fliegengitter). Füllt man den Saft ab, sieht man eine betörende Farbe, die man sonst niemals in der Küche sieht – so eine feine Röte spielt im Glas. Der Saft so dick wie Sirup (obwohl mit Minimalzuckermenge gekocht). Er tropft in die Flasche, zum Fließen ist er fast zu dick. Und wenn dann im Winter wirklich jeder Knochen schmerzt und die Flasche mit dem goldroten Glück wird geöffnet – kein Saft ist besser als der. Würden wir nicht so schrecklich gern Saft trinken, wären wir mit Sicherheit am Geleekochen. Vielleicht reicht es ja auch dieses Jahr für ein paar Gläser, denn Quittengelee – ungelogen! Frisches Toastbrot, wenig Butter, Quittengelee. Der Himmel ist offen!

Und wenn ich nach dem Hacken noch genug Nerven habe, schau ich, dass ich Quittenbrot mache. Das braucht halt alles wirklich viel Zeit und davon ist im Herbst nicht allzuviel vorhanden, aber wenn es klappt, wird es die feinen Würfel wieder geben. Ich lese im Katalog, dass 100 Gramm Quittenwürfel 8 Euro kosten. Jep. Wundert mich nicht.

250 Kilo. Wow. Und das nach nur neun Jahren Warten, der Baum war fix, wie froh ich bin! Wenn wir dann mal ernsthafte Mengen ernten, wird die Presse wieder spannend. Wie angenehm – Quitten waschen, reinwerfen, Saft nur noch kochen zum Haltbarmachen, das ist in einem Tag gelutscht, egal, wie viele Quitten es sind. So sind es viele, viele Tage, aber für 250 Kilo wirft keiner seine Presse an, nur mit anderem gemischt. Aber ich streichel ja nicht den Sommer über jede Quitte einzeln, damit sie ja lang am Baum bleibt, damit ich hinterher nicht genau diese Kandidaten in der Flasche habe.

Ach ja. Gibt es Faszinierenderes als Rosengewächse??? Freude herrscht und Dankbarkeit. Also, falls meine Hand aufhört zu schmerzen.

Herbstlied

HERBSTLIED (1782)

Bunt sind schon die Wälder;

Gelb die Stoppelfelder,

Und der Herbst beginnt.

Rote Blätter fallen,

Graue Nebel wallen,

Kühler weht der Wind.

Wie die volle Traube,

Aus dem Rebenlaube,

Purpurfarbig strahlt!

Am Geländer reifen

Pfirsiche mit Streifen

Rot und weiß bemalt.

Sieh! wie hier die Dirne

Emsig Pflaum’ und Birne

In ihr Körbchen legt;

Dort, mit leichten Schritten,

Jene, goldne Quitten

In den Landhof trägt!

Flinke Träger springen,

Und die Mädchen singen,

Alles jubelt froh!

Bunte Bänder schweben,

Zwischen hohen Reben,

Auf dem Hut von Stroh!

Geige tönt und Flöte

Bei der Abendröte

Und im Mondenglanz;

Junge Winzerinnen

Winken und beginnen

Deutschen Ringeltanz.

Danke an Theresa für das Foto der Quitten im Juni, die ich gerade versafte.

Mittwochs-Nachdenk-Input

Eine Riesenspinne hat sich in der Nacht ins Haus verkrochen. Auch wenn es vermutlich die Wärme war, die sie ins Haus getrieben hat, bei der Größe haben wir sie dann doch hinauskomplimentiert. Ich glaube, ich gehe nachts nur noch mit Schlappen aufs Klo. Ich bin da nicht wirklich fähig, angemessen zu reagieren. Und wir wollen ja nicht das ganze Dorf wecken 🙂

Ganz geheim laufen im Hintergrund die Vorbereitungen für die neue Ausgabe der Holunderelfe, die im Dezember herauskommt. Es wird wieder ein großartiges Heft mit einem super passenden Titelthema. So lange haben diese Projekte Vorlaufzeit, es sind Wochen und Monate, bis alles geschrieben, korrigiert, das Layout gemacht, die Fotos eingebaut sind und alles druckreif ist.

Gestern habe ich überlegt, was so alles an einem Tag bei mir zusammenläuft an Schicksalsfäden und welche Konsequenzen die einzelnen Dinge für die Menschen haben. Das ist schon erstaunlich. Da geht es um Operationen, um Ängste davor, um Schmerzpatienten, um Kinder, die Schwierigkeiten in der Schule haben, um junge Mädchen, die sich ritzen, um Kommunikationsprobleme aller Arten, sei es zwischen Partnern oder auch Chefs und ihrem Team, um die Angst einer Mutter, weil ihr Kind via Sonde jetzt ernährt werden muss und die Probleme, die auftreten, wenn ein junger Mensch plötzlich Epilepsie bekommt und wie schwierig es ist, in einem Haus mit vielen Treppen einen Menschen zu transportieren, der im Rollstuhl sitzt und was man unternehmen kann, um dann noch im eigenen Haus bleiben zu können. Es ging um Kopfschutzkissen in Pflegebetten, um ein Rezept für Chicoreesalat, den Tod von Menschen. Das Leben läuft jeden Tag wie ein buntes Kaleidoskop vor mir ab. Manchmal ist es so traurig, manchmal macht es wütend, wir lachen, wir weinen, wir sitzen still. Was für ein Geschenk, das mitgeteilt zu bekommen und zu schauen, dass alle gut durch ihre Herausforderungen durchkommen, wie immer sie auch geartet sind. Was für eine wunderbare Arbeit, die ich tun darf. Es gibt so viel Grund, dankbar zu sein.

Allen einen erlebnisreichen und freudigen Merkurtag.

 

Auf dem See

Und frische Nahrung, neues Blut
Saug‘ ich aus freier Welt
Wie ist Natur so hold und gut,
Die mich am Busen hält!
Die Welle wieget unsern Kahn
Im Rudertakt hinauf,
Und Berge, wolkig, himmelan,
Begegnen unserm Lauf.

Aug‘, mein Aug‘, was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?
Weg, du Traum! so gold du bist;
Hier auch Lieb‘ und Leben ist.

Auf der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne
Weiche Nebel trinken
Rings die türmende Ferne;
Morgenwind umflügelt
Die beschattete Bucht
Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht.

Johann Wolfgang von Goethe

Herzlichen Dank an Theresa für dieses wunderbare Foto!

Dienstags-Nachdenk-Input

Wenden stehen an. Politische Wenden. Wetterwenden. Wer weiß, welche Wenden sonst noch.

Wenden sind nie einfach. Sie bedeuten, dass etwas Altes nicht mehr trägt und etwas Neues vielleicht schon sicht- und spürbar, aber eben auch noch nicht wirklich da ist. Keiner reißt sich um Krisenzeiten, denn sie sind mit massiven Fragezeichen verbunden – wird es gut ausgehen? Werden sich im richtigen Moment die passenden Türen öffnen? Trägt das Neue, was da kommen mag? Ist der Moment der richtige für solche Veränderungen? Oft genug stellt sich im Nachhinein heraus, dass es höchste Zeit für die Veränderungen war. Manchmal ist es sogar schon zu spät, oft genug merken wir, dass das quasi der letzte Aufruf des Schicksals war, etwas zu unternehmen und sind dann ganz froh, es gewagt zu haben.

Manchmal braucht man gute Unterstützung in solchen Zeiten. Den Mut, genau hinzuschauen. Die Freiheit, sich neu zu entscheiden. Und die Demut vor der Größe der Herausforderung, die oft auf einen wartet. Wenn die Krisenzeit überwunden ist, kommt das Wohlgefühl, bis sich das eines Tages abermals verwandelt und wir in Richtung der nächsten Krise segeln. So ist es, das Leben. Auf und Ab in jeder Hinsicht. Und genau DAS ist das Leben. Üben wir uns also immer wieder im Surfen, denn an der Art der Wellenbildung können wir wenig ausrichten.

Allen einen spannenden Marstag mit bewältigbaren Herausforderungen!

Oktoberlied

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

Schenk ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

Vergolden, ja vergolden!

Und geht es draußen noch so toll,

Unchristlich oder christlich,

Ist doch die Welt, die schöne Welt,

So gänzlich unverwüstlich!

Und wimmert auch einmal das Herz, –

Stoß an und lass es klingen!

Wir wissen’s doch, ein rechtes Herz

Ist gar nicht umzubringen.

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

Schenkt ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

Vergolden, ja vergolden!

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,

Doch warte nur ein Weilchen!

Der Frühling kommt, der Himmel lacht,

Es steht die Welt in Veilchen.

Die blauen Tage brechen an,

Und ehe sie verfließen,

Wir wollen sie, mein wackrer Freund,

Genießen, ja genießen.

Theodor Storm

Danke an Ursula für dieses wunderbare Foto!

Montags-Nachdenk-Input

Manchmal muss man Entscheidungen treffen, mit denen man wochenlang gerungen hat. Es gibt Gründe in großer Zahl für und gegen etwas. Nur gibt es auch einen Punkt im Leben, an dem man weiß: Jetzt ist es genug. Jetzt ist eine Grenze erreicht, jenseits der eigene Werte, das, was einem selbst wirklich lebenswichtig ist, in Gefahr ist. Keinen Schritt darf es jenseits dieser Grenze geben. So ging es mir mit der Absage eines Ausbildungskurses. Was gab es im Vorfeld nicht alles an Diskussionen. „Ich möchte nur bestimmte Tage machen“. „Ich kann da und da aber nicht.“ „Zwei Jahre sind viel zu lang, geht das auch schneller?“ „Dieser und jener Teil passt mir nicht, den möchte ich nicht belegen.“ Das habe ich mir nicht Tage, sondern Wochen angehört. Und nun habe ich nach nur einem einzigen Kurstag diese Ausbildung für ein Jahr ausgesetzt. Weil es das Herzstück meiner Arbeit ist und das, was daraus werden würde, käme ich den Vorstellungen nach, einfach nichts  ist, was ich vertreten möchte.

Weil man nicht in Wunschmodulen Therapeut wird. Weil eine Therapeutenausbildung bedeutet, als Mensch zu wachsen, zu reifen. Weil es bedeutet, sich nicht die Rosinen rauszupicken, sondern auch mal Themen anzunehmen, die einem auf den ersten Blick seltsam erscheinen, aber vielleicht die Entdeckung des Lebens werden können. Weil Entwicklung Zeit braucht und weil wir uns ausbilden für Menschen, die heute mit anderen Problemen aufschlagen als vor einigen Jahren. Die Zeiten sind ganz anders und deshalb muss man sich auch ganz anders dafür ausbilden. Und bevor ich das aufgebe, gebe ich lieber den Kurs auf. Für die Menschen, die wirklich mit Herzblut diese zwei Jahre mutig angegangen wären, gab es gute Lösungen.

Lange habe ich überlegt. Sehe ich das alles zu eng? Bin ich stur und Argumenten gegenüber uneinsichtig? Das ist es nicht gewesen. Nur weiß ich – es gibt Dinge, die können nicht „weniger“ werden, weil sie eigentlich noch viel mehr sein müssten. Nicht weniger Kurstage, nicht weniger Übung, nicht weniger Wachstum. Sondern Tiefe, Klarheit, Verständnis. Und das erringt sich nicht in Modulen, in Stunden oder wenigen Tagen. Eher in mehr.

Es ist ein allgemeiner Trend – schnell und sofort soll alles sein. Möglichst einfach zu haben. Die Masse der Willi-ichs, die immer nur etwas wollen, ist gigantisch. Auf der anderen Seite sind die Menschen nicht mehr geübt im Überwinden von Schwierigkeiten. Zu viel von klein auf auf dem Silbertablett serviert schafft unfreie Erwachsene.

Ich denke: Man wird nicht über Nacht zum Therapeuten. Es braucht sehr viel eigene innere Schulung, natürlich Techniken für Gespräch und Unterstützung, auch das muss gelernt und geübt werden, und es braucht Zeit, um gelernt, geübt und erarbeitet zu werden, damit es Bestandteil unserer Persönlichkeit wird. Es wird bei mir keine Expressausbildung geben. Unsere Klienten haben auch keine Expressprobleme. Alles andere wäre mangelnde Wertschätzung mir selbst, meiner eigenen Arbeit, aber auch den Nöten der künftigen Klienten gegenüber und deshalb auch einmal eine Entscheidung, die vielleicht nicht jeder nachvollziehen kann. Zur Authentizität eines Menschen gehört einfach, dass er seine Werte prüft, seine Ansichten, wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind, anpasst, sich hinterfragt. Aber wenn er all diese Dinge geprüft und für angemessen empfunden hat, gibt es auch nur einen gangbaren Weg.

Allen einen guten Start in die neue Woche. Bleiben wir authentisch. Alles andere macht krank.