Unter jedem Dach ein Ach – das kann ich gut sehen in meiner Praxis. Das Ach hat viele Formen. Es kommt in Gestalt von Krankheit und Tod, Angst und Sorgen vielfältiger Art, Arbeitsplatzprobleme, drohende Geschäftsaufgaben durch die Pandemie, vereinsamte Menschen, Sorge vor einer Erkrankung, Kinder ohne Freunde und Jugendliche mit Orientierungsproblemen. Dazu Überarbeitung von jenen, die seit vielen Monaten versuchen, so manches am Laufen zu halten. Zukunftsängste, Existenzängste.
Es geht nicht darum, etwas schön zu reden. Wenn Dinge schlimm sind, soll man sie so benennen. Es geht nicht darum, sich die Welt rosarot anzumalen, wenn sie grau ist. Machen wir uns dennoch bewusst, dass wir diese Welt eben nie so sehen, wie sie vielleicht ist, weil wir alles durch unsere ureigene Brille sehen. Wenn wir gut aufgestellt sind, übersehen wir negative Sachen eher, sind wir schlecht drauf, fallen gute Dinge durch die Maschen der selektiven Wahrnehmung. Unser energiesparfreudiges Gehirn vereinfacht gern, benutzt ausgelatschte Wege und gehört zur Fraktion „des hammer immer scho so gmacht“.
Wenn wir unsere Sichtweise von total schwarz und negativ auf wenigstens annähernd neutral bringen wollen, dürfen wir den Scheinwerfer unseres Wahrnehmungsfokus‘ neu justieren. Das Problem: dieser Scheinwerfer ist schwer und sperrig. Es braucht Aufwand, ihn neu einzustellen. Das ist, als wenn ich in einem Urwald stehe, ein kleines Messer habe und mich 20 Kilometer durch eine feuchtheiße, total zugewucherte Hölle schneiden soll, um auf andere Menschen/Rettung/was immer zu stoßen. Da ist schon ein Meter lebensgefährlich und anstrengend.
Dennoch ist es das, was wir zu tun haben – bewusst in die Wahrnehmung dessen gehen, was gut, wahr, schön ist. Der aufkeimende Frühling hilft uns mit seinem Zauber, das leichter zu vollbringen. Die Schneeglöckchen blühen, die Krokusse, die Tulpen treiben ebenso wie die Traubenhyazinthen, die Knospen schwellen, die Bäume ziehen Wasser, alles draußen richtet sich auf Neuanfang ein. Wie wäre es, wenn wir an diesem Jupitertag unser Gehirn einladen, sich auch neu auszurichten und den Fokus gerechterweise auf die guten Dinge zu lenken? Die unglaublich tollen Wunder, die uns jeden Tag begegnen? Wie wäre es, wenn wir es für möglich halten, dass uns in diesen Frühlingstagen die Kraft, der Zauber, die Magie des Anfangs erfassen, stärken und ermutigen?
Es gibt keinen Grund zur Verzweiflung, egal, wie die Lage ist. Nur immer und immer wieder die Bitte der Natur auch an uns als Bestandteil des großen Kreislaufs, auf die Macht der Erneuerung, des Neuanfangs zu vertrauen und aus den Samen des Vertrauens, der Begeisterung, der Selbstfürsorge und Wertschätzung neu zu keimen und erste Blätter ans Licht der Welt zu heben. Ja, das kostet Kraft. Ja, das ist mühsam, schwerer als klagen und jammern. Aber wir alle sind selbstwirksam. MeisterInnen der Wunder. Königinnen und Könige des Vertrauens, würdevolle Majestäten auf ihrem Lebensweg. Mit und ohne wackelige Kronen.
Nehmen wir unsere verletzliche Schönheit achtsam wahr. Feiern wir leise und laut das Neue, das kommen wird. Gestalten wir mutig jeden Tag. Es ist ein Tag unserer begrenzten, hochkostbaren Lebenszeit. Lassen wir nicht zu, dass Angst in uns nistet, Sorge uns auffrisst. Alles hat seine Zeit und seinen Raum. Und alles wird sich stetig wandeln, auch Negatives verändert sich. Vertrauen wir an diesem Jupitertag und laden die Kraft des Frühlings ein, auch unser Herz zu stärken.
Allen einen freundlichen und frohen Donnerstag. Blütenzauber – noch nicht von diesem Jahr.