Mehrere Menschen haben mir heute gesagt, es sei gestern schon um vier fast dunkel gewesen und sooo nasskalt. Nun, wir haben Ende November, da darf es nasskalt und dunkel sein. Wir brauchen das! Ja! Wenn wir das ganze Jahr Sonne hätten, wären wir sicherlich nicht zufrieden, wir schätzen die Sommerwärme, weil wir sie nicht immer haben. Wie herrlich sind der Herbstnebel, die frühe Dunkelheit, die so lange Zeit der Dämmerung dazwischen. Zwischen Tag und Traum ist mehr Luft jetzt, der Tag gleitet langsam aus, das ist ein schöner Prozess, der im Außen schon zeigt, wie es geht: Nach der Arbeit am Tag gibt es diese Übergangsstunden, in denen man seine heimische Kruschelarbeit macht, isst, sich hinsetzt und im Winter einfach wunderbar denken, lesen, lernen und sich austauschen kann.
Der Sommer ist das Draußensein, das Geschwatze, das Lockerleichte, vieles ist unverbindlich, weht so vorbei. Der Herbst ist gemächlich und er kann bissig werden mit seiner Kälte, die in die Knochen kriecht. Dann fällt uns auf, dass wir Wärme bewusst brauchen, die beste die ist, die wir selbst durch Bewegung erzeugen. Nach all dem Herumgeflatter des Sommers darf Einkehr sein.
Hygge nennen es manche Länder. Ich nenne es Klarheit und Ruhe, Besinnung in der Bedeutung von „wesentlich werden“. Die Fülle des Sommers weicht der Schlichtheit. Wie leuchtet jetzt eine Hagebutte im Nebel! Das wäre im Sommer sinnlos, nie fiele sie auf in der Fülle. Erst jetzt kommen die herrlichen Schlehen in den Fokus, ich warte auf den drei Nächte anhaltenden Frost, damit sie geerntet werden können. Das ist so mühsam, stachlig und schwierig. Per aspera ad astra. Dafür bekommen wir Schlehensaft, der fast das gesamte Jahr brauchte von Blüte bis Ernte, keine Pflanze bei uns nimmt so viele kosmische Einflüsse in Blüte bis Frucht auf wie Schlehen, was sie unverzichtbar macht in der Rekonvaleszenz und zur Unterstützung einer Hülle, die uns schützt gegen das allgemeine Geniese und Gehüstle, das uns nun überschwemmt.
Der Herbst ist eine Feier des Alleinseins. Oh ja, das kann ein extrem schwieriger Zustand sein, das Alleinesein und ist für viele Menschen enorm schmerzhaft, weil ungewollt. Und doch ist es ein not-wendiger Zustand, das Alleinesein. Das auf sich geworfen Sein, das Wegfallen von Vorstellungen, Ansichten, Meinungen über sich selbst. Die Reduktion auf das, was wahrhaft ist, so wenig es auch sein mag. DAS ist das Ausgangsmaterial, in das zur Mitwinternacht das neu geborene Licht einziehen mag. Bis dahin muss der ganze Blingblingblendaufputz weggeräumt sein, sonst hat das Neue keinen Platz. Und dafür ist der Herbst perfekt, der im Außen mit dem Blätterfall, der Dunkelheit, den Nebelschwaden anschaulich aufzeigt, was zu tun ist. „Erkenne dich selbst“ – wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht du?
Allen einen tatkräftigen Marstag.
Das feine Nebelbild hat Ursula gemacht, extra zu meiner Freude. Danke dir!