Am 11. Januar 1912 sprach Rudolf Steiner in München über Nervosität und bemängelte, dass sich die Menschen keine Zeit mehr nehmen, Dinge zu durchdenken und zu studieren, bis sie verstanden sind. Als ich diesen Satz gestern las in der Nachbereitung einer Fortbildung, fiel mir auf, dass Viktor Frankl in einem Vortrag über den Zusammenhang zwischen Magenerkrankungen und Psyche exakt diesen Punkt ansprach (den Vortrag hatte ich mir gestern zufällig (?!) auch angehört). Frankl meinte, dass Menschen magenkrank werden können, weil sie sich keine Zeit mehr nehmen, das, was als Input von außen kommt, noch angemessen zu „verdauen“, indem sie einfach mal spazierengehen oder ein paar Tage in der Pampa verbringen (er hat es schöner formuliert), um ohne permanentes Telefon (heute kämen diverse andere Taschenkobolde dazu!) und andere Störungen Sachen bis zum Grund zu durchdenken.
Es war Dag Hammarskjöld, der ehemalige UNO-Generalsekretär, der sich immer wieder in die Einöde der Nordlande zurückzog, um dort schwierigste Verhandlungen zu überdenken, Strategien zu planen und sich durch einsame Wanderungen in der von Menschen unberührten Natur zu erden.
Wenn ich in die Welt schaue, sehe ich viele Fälle „bulimischen Lernens“. Der Lernstoff – egal in was – wird hineingestopft, bei einer Überprüfung ausgespuckt und weg ist er. Nehme ich die Krisenzeit dazu und die Diskussionen, wann, wo und wie es mit Schule weitergeht, wäre der Gedanke vielleicht hilfreich: Bietet die Zeit nicht die einmalige Chance, durch Verzicht auf Masse, die ohnehin im Kinderhirn nicht hängenbleibt, weil sie nicht mit der Lebenswirklichkeit der Menschen vernetzt werden kann, wieder eine Bildungsqualität zu erreichen?
Wenn wir junge Menschen darin schulen, sich mit komplexen Zusammenhängen ausgiebig zu befassen, die einzelnen Ebenen zu durchdenken und mit dem zu verbinden, was man schon weiß oder erkennt, wo etwas fehlt, schaffen wir nicht nur geistigen Tiefgang, sondern bringen mit einem Schlag sehr viel Ruhe in die Hirne. Vorausgesetzt, wir sorgen für die entsprechende Umgebung. Nicht umsonst gilt in Bibliotheken Sprechverbot. Nur was in Ruhe bedacht wird, in Ruhe wächst, reift und Raum bekommt, ist mit unserem Herzen verbunden. Das bleibt dann auch für immer. Alles andere verstopft leider nur die Rohre.
Allen einen ruhigen Jupitertag, dem nicht umsonst auch Weisheit zugeprochen wird.
Auch dieses Foto hat Gabi gemacht, wofür ich ihr sehr herzlich danke!