Vor vielen Jahren sagte Holger Wemhoff von Klassikradio, er sei bekennender Weihnachtsfan und wie sehr er dieses Fest liebe. Das fand ich irgendwie beeindruckend. Er freute sich jeden Tag in seiner Sendung auf das neue Adventskalendertürchen, konnte es kaum erwarten und arbeitete sich Stück für Stück durch die gesamte Musik rund ums Fest. Ein echter Fan.
Im Praxisalltag erlebe ich in diesen Tagen vor dem Fest der Liebe manches anders. Menschen brechen in Tränen aus, weil sie nicht zugeben dürfen, dass sie Weihnachten total bescheuert finden und das Fest seit Kindertagen hassen, weil sie nie geschenkt bekommen haben, was sie sich am meisten wünschten – Zeit und Aufmerksamkeit. Und sie sollen jetzt Weihnachten aufführen für die alten Eltern. Das höre ich wirklich oft „die Weihnachtsaufführung“, die „Show des Jahres“, der „kranke Gigantismus, wir erschlagen uns mit Geschenken, die keiner will und zahlen bis Ostern die Kredite dafür ab“. Klar gibt es auch andere Stimmen, aber am meisten bewegt die Menschen die Frage, ob sie das „Stück mitspielen müssen, um anderen einen Gefallen zu tun oder nicht“.
Viele haben Weihnachten als Fest erlebt, das im Streit endet. Familien reisen kreuz und quer durchs Land, um Eltern, Schwiegereltern zu besuchen und niemanden zu beleidigen, dabei wünschen sie sich nichts mehr als drei Tage ausschlafen und unterm Baum im Pyjama gammeln und mit den Kindern Monopoly spielen anstatt Fünfgangmenüs reinzuschaufeln und sich mit entsprechenden Mengen Alkohol die Birne zuzudröhnen und zu hoffen, dass sich dann auch die dritte kloßbegleitete Gans mit Rotkohl nach Festtagssuppe, Salatdeko und Nachtisch (Creme brulée ist beliebt) irgendwie im Verdauungssystem gen Ausgang schiebt.
Jetzt mal ehrlich: Warum machen wir das? Uns verschulden, uns vorgaukeln, dass heile Welt ist, wo es nicht so ist? Tausende von Euronen ausgeben für Dinge, die bis Mitte Januar ohnehin umgetauscht oder im Radio angepriesen werden als „grausig, mag das jemand haben?“ – warum? Für ein bisschen Frieden, heile Welt und die Illusion, dass man doch eine Familie ist?
Ich bin für ein Vorstellungsende. Weihnachten für alle, die das Fest lieben, die sich lieben und begriffen haben, dass es nicht um Geschenke und Fressorgien geht, sondern um das Höchste – Zeit. Zuhören. Miteinander im Kontakt sein. Keine Show, kein Gigantismus, kein sich übernehmen, kein unfasslicher Tourismus quer durchs Land, sondern drei Tage Begegnung, Ruhe, Freundlichkeit und Stopp dem Geschenkewahn. Das größte Geschenk für Menschen ist Zeit, Liebe, Achtsamkeit, Zuhören und dasein. Alles andere ist reiner Materialismus und dafür wurde sicher kein Kind in eine Krippe gelegt.
Allen ein paar ruhige Tage und den Mut, das in den Showfamilien anzusprechen und allen anderen, ihr Lieblingsfest eingekuschelt mit ihren Lieben frohgemut zu feiern. Allen ein paar Minuten der Stille, um das Kind in der Krippe (mit Migrationshintergrund) vor sich zu sehen und seiner Botschaft zuzuhören.