In den Sommerferien ist Mittwochabend ein Lesekreis, den wir seit Jahren besuchen. Wir arbeiten uns durch Vorträge von Rudolf Steiner. Es wird ein Stück gelesen, dann tauschen wir uns aus. Am Mittwoch erinnerten wir uns daran, dass wir im Tal zwischen Johanni und Michaeli sind, einer Wendezeit, in der die Macht des Hochsommers ihre Kraft verliert, auch wenn sie nach wie vor spürbar ist, und der Herbst sacht Einzug hält. Wir erleben das derzeit sehr intensiv durch die Gartenarbeit. Morgen wird der letzte Rest Holunder geerntet und verarbeitet, viele Brombeeren warten aufs Entsaften. Stück für Stück arbeiten wir uns durch die Beete, schneiden Verwelktes ab, verblühten Lavendel zurück, die Kräuter runter und vieles mehr. Arbeiten, die dafür sorgen, dass 2021 alles wieder mit neuer Kraft wachsen und gedeihen kann.
Mir wurde bewusst, dass das Leben in Wellenbewegungen verläuft. Vom Hochsommer zum Frühherbst ist eine Welle, vom Frühling zum Sommer. Die keltischen Jahresfeste, von denen vier der Sonne und vier dem Mond gewidmet sind, takten das Jahr und zeigen die Endpunkte der Wellenbewegungen. Alle sechs Wochen beginnt ein neuer Zyklus. Zwischen Lughnasad, dem Schnitterfest/Erntestart Anfang August, und Samhain am 1. November werden wir mächtige Schritte in der Jahresentwicklung gehen. Die hellen Tage und langen Abende weichen den ersten Nebeln und der Wetterverschiebung. Nach Imbolc am 1. Februar, christianisiert Maria Lichtmess und Beltaine am 1. Mai, sind Lughnasad und Samhain Momente, in denen wir uns besinnen dürfen.
Das Schnitterfest wird oft mit der Ehrung der ersten Ähre, die geschnitten wird, gefeiert. Uns ist heute oft nicht mehr bewusst, wie wesentlich die Ernte des Getreides für das Überleben der Menschheit ist. Mit Samhain beginnt die dunkle Jahreszeit, wenn sich die Schleier zwischen den Welten der Lebenden und der Verstorbenen heben. Dazwischen liegt Michaeli, das Fest des Mutes. Den Mut brauchen wir, um die dunkle Zeit unbeschadet zu überstehen.
2020 ist ein Jahr, in dem vieles anders ist und doch spüren wir den tiefen Herzschlag der Erde, die unverdrossen weitergeht, sich dreht und wir bemerken sehr wohl, dass viele Kräfte am Werk sind, um den Sommer zu beenden und den Herbst einzuladen. Besonders sensible Menschen bemerken in diesen Tagen, dass Veränderungen anstehen, sie spüren die Kraft, die in diesen Tagen jetzt kommen wird bis Anfang September. Es sind Tage, in denen wir leichter Zugang zur Bewusstheit haben, Tage, in denen wir eingeladen sind, intensiv über unser Leben und seine Ausrichtung nachzudenken.
Im Lesekreis diskutierten wir über die Frage, was Arbeit ist. Ich erinnerte an Khalil Gibrans Satz „Arbeit ist sichtbar gemachte Liebe“ und dass Arbeit für mich überwiegend mit Sinn verbunden ist. Dem steht der materialistisch orientierte Ansatz gegenüber, den unsere Welt forciert. Ich arbeite, was ich am meisten liebe und verdiene damit das Geld, das ich brauche. Meine Arbeit, die sich in Praxis und Unterricht in unserer Schule teilt, ist kein Job, kein Beruf, es ist für mich eine Berufung und mein Herzblut. So macht es für mich persönlich Sinn. Das hat sich nicht von heute auf morgen ergeben, sondern ist aus einer sehr langen Entwicklung heraus gewachsen. Und das Spannende ist: wir sind niemals fertig. Wir sind wachsend, werdend, uns verändernd.
Lassen wir uns überraschen, was die nächsten Tage an Erkenntnissen bringen mögen. Ich freue mich in diesem Jahr über die Erkenntnis, dass uns allen gar nichts übrig geblieben ist, als uns zu verändern, ob wir das wollten oder nicht und wir oft die Erfahrung machen konnten: das muss nicht nur negativ sein. Ich freue mich auf Nächte, in denen es wieder kalt ist. Die Sterne anders funkeln als im Sommer und Schlaf mal wieder erholsam wird. Vielleicht.
Allen einen feinen Venustag heute! Mögen alle Sommerfreude dieser Tage genießen.
Theresa hat uns diesen Leuchtturm geschickt. Wo leuchtest du im Leben?