Gestört – entstört

Bald ist der Mai schon vorüber, zack, die Zeit eilt. Es gibt Tage, da ziehen sich die Stunden zäh und an anderen fliegen sie davon. Der Wind trocknet hier oben gerade alles aus, was die Hitze der letzten Woche übrig gelassen hat.

Vorgestern sagte mir ein Klient, er sei verstört von allem, was in der Welt geschieht. Ich fand das Wort sehr interessant. Vor allem, weil ich weiß, dass er mir gesagt hat, er habe als Kind immer „gestört“, nun ist er verstört. Er lachte dann, als ich das rückmeldete und meinte, er habe erst gestört, dann wäre er als gestört bezeichnet worden, nun sei er verstört über das Außen und im Inneren im Grunde ganz gut eingemittet und er frage sich, was als Nächstes kommen könnte. Wir fanden dann ein gutes Wort: entstört.

Manchmal muss man Narben entstören, damit sie nicht mehr schmerzen. Immer wieder hört man, dass Gebäude entstört werden müssen, weil Wasseradern ungünstig laufen oder andere Dinge nicht in Ordnung sind. Vielleicht müssen wir uns insgesamt nach den Erlebnissen der letzten gut zwei Jahre wieder entstören, auf ein neues Level eingestimmt werden. Wobei der Begriff „stören“ ja mehr über die Person aussagt, die ihn verwendet, als die Person, auf die der Begriff angewandt wird, finde ich.

Was darf denn nun entstört werden? Ich glaube, unser Umgang miteinander bedarf einer freundlichen Entstörung. Wir dürfen wieder höflich und respektvoll-wertschätzend miteinander umgehen, das ruppig-rustikale Angeknurre muss vielleicht nicht dauerhaft geübt werden. Wir dürfen unsere Herzen wieder öffnen und uns für Wunder weiten, oder? Staunen ist angesagt über die Schönheit der Natur, die dieses Jahr viel an Üppigkeit und Pracht zu bieten hat. Entstören wir uns, indem wir uns auf gute Weise erden. Uns klar machen: Wir sind alle Menschen, mit allem, was dazu gehört. Momente, in denen was super läuft. Momente, in denen alles schiefzugehen scheint. Momente der Liebe, des Schmerzes, der Freude und des Versagens. Wir scheitern und wir kommen weiter, wir leben die gesamte Farbpalette, nie nur hell, nie nur dunkel. Entstören wir unseren Blick und seien wir wieder offen für Neues, fassen uns ein Herz und gehen wieder aufeinander zu, damit wir nicht alle Störenfriede sind im Leben von anderen, sondern Freunde auf Besuch.

Wen von deinen Freunden hast du lange nicht gesehen? Denkst du, er oder sie freut sich auf eine feine Einladung zum Kaffeetrinken? Eine liebe Karte? Einen selbstgepflückten Blumenstrauß vor der Haustür? Ein Stück vorbeigebrachten Kuchen? Und wo kannst du dich selbst „entstören“ und loslassen, was dir nicht gut tut?

Ein störungsfreies und Wunder volles (sic!) Wochenende!

 

Besuch bei Sigrid am Meer. Toll! Hier sind es gerade andere Tiere, die dauernd zu Besuch kommen wollen und morgens im Waschbecken sitzen und nicht mehr rausfinden. Irgendwann werde ich mich an Spinnen gewöhnen. Im nächsten Leben.

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