Ich liebe seit Jahren die Wochenend-Übungen von Rudolf Steiner. Da ich Samstag und Sonntag meistens irgendwo Kurse gebe, sind sie – manchmal vorgelesen, manchmal nur Bestandteil meiner Morgenmeditation – mit mir unterwegs.
Die Samstagsanregung liest sich schön, ist jedoch eine wahre Herausforderung. Nur bedeutsame Gedanken soll man denken! Wie viele tausend Mal ertappe ich mich am Samstag (und an allen anderen ist es nicht besser!), dass ich Gedanken bewege, die im Grunde keine Sekunde die Energie wert sind, die das Denken erfordert. Was ich von allen Wochensprüchen am schwersten umzusetzen finde, ist der zweite Teil des Samstags: Werde in dir still, wenn dein Gesprächspartner spricht und verzichte auf jede Wertung – selbst in Gedanken und Gefühlen. Seom singt auf seiner neuen CD „Leuchttürme“ „Glück ist meine Superkraft!!“ – ich glaube, wenn wir das Werten beenden, ist das eine unendliche Glücksquelle. Wertungen verletzen. Uns, unsere Mitmenschen. Vergleiche töten Glück, Ähnliches hat schon Kierkegaard erkannt. Ich werde bis zum Ende meines Lebens mit der Samstagsaufgabe beschäftigt sein.
Am Sonntag sind wir eingeladen, gedankenloses Handeln zu unterlassen. Als ich vor Jahrzehnten diese Übung das erste Mal probieren wollte, las ich diesen Text in der Morgenmeditation. Da bemerkte ich, dass ich unbewusst aufgestanden, in die Dusche getrottet war, meine Zähne lesend geputzt, den Tee ohne jeden Gedanken daran aufgegossen hatte. Puh! Bis zur Morgenmeditation hatte ich bereits eine Stunde in vollkommenem Autopiloten verbracht. Und bei ehrlicher Betrachtung war der Rest der Tage nicht besser. Der Weg zur Arbeit, das Staubwischen, Gemüseschnippeln – Automatismen, Autopilot, keinerlei Wertschätzung für die Schönheit der Karotte in meiner Hand, keine Dankbarkeit, dass fleißige Hände im Frühtau den Tee geerntet und getrocknet haben, dass Dutzende Menschen daran beteiligt waren, dass ich Haferflocken in der Müslischüssel habe. Ich war restlos, vollkommen und round the clock unbewusst. Schlafend. Ohne Sinn und Verstand quasi. Als ich das erkannte, fiel mir auf: wenn ich so weiterlebe, werde ich eines Tages sterben und war keine Sekunde in meinem eigenen Leben anwesend, von irgendwelchen krassen schönen oder negativen Augenblicken abgesehen. Da erkannte ich den Wert dieser Momente – sie wecken auf. Krankheiten, Unfälle, Todesfälle, Geburten, Besonderheiten ragen wie Inseln aus dem Meer, in der Regel sehen wir sie nicht, nur wenn Ebbe ist.
Herzlichste Einladung, diese beiden Wochentage mit den Aufgaben mal mitnehmen ins Wochenende. Und die nächste Woche mal abgrundtief ehrlich zu dir selbst beobachten: Gibt es in meinem Leben überhaupt Bewusstheit, Wachsein und Achtsamkeit auf das, was ist? Kreise ich in meinem Tiefschlafuniversum, ferngesteuert durch „Gewohnheiten“, seien sie im Denken, im Fühlen oder im Handeln?
Es gibt nur eine Aufgabe: Erwachen wir zum Menschsein. Wachsen wir hinein in das Leben, schlagen wir darin Wurzeln und stehen leuchtend da für die anderen, die gerade suchen, verzweifelt sind, traurige Momente haben. Seien wir einfach da. Wach, bewusst und liebend.
Von Herzen wünsche ich euch ein wunderbares, lebendiges Wochenende. Ich freue mich auf Begegnungen mit wachen, bewussten Menschen.
Das Foto hat Steffi gemacht. Ganz bewusst übrigens. Ich danke dir, Steffi, so wie allen anderen, die uns jeden Tag das Geschenk ihrer wunderbaren Fotos machen. Ich nehme gern Fotos entgegen! Wir reisen mit euren Augen um die Welt, schauen durch eure Kameralinse genau hin und sind euch so ganz nah. Vertrauen pur. Wie beschenkt wir sind! Verbunden mit euch, mit allen, die diese Fotos sehen können.