Am 10. September ist der Suizid-Präventionstag. Rund 10.000 Menschen in Deutschland sterben jährlich durch Suizid, die Zahl der Versuche, sich das Leben zu nehmen, liegen sehr deutlich darüber.
Es gibt viele Gründe, weshalb Menschen an einen Punkt im Leben gelangen, an dem sie keine Kraft mehr empfinden, ihr Leben fortzusetzen und der Suizid als einziger Ausweg scheint. Grundsätzlich gilt: Ich kann meinen Körper töten. Seele und Geist nicht. Das ist das Eine. Das Andere ist: Mit jedem Problem wird mindestens eine Lösung geboren.
Es ist vollkommen in Ordnung, dass man sich so verstricken kann in Sorgen, Nöte und Ängste, dass man keinerlei Ausweg mehr sieht. Es ist vollkommen in Ordnung, dann die Verantwortung für das eigene Leben in die Hände von Ärzten und Therapeuten zu geben, bis man sie wieder selbst er- und tragen kann.
Worauf ich das Augenmerk richten möchte, ist der Aspekt der Prävention. Ein Suizid ist meistens das Ende einer unglaublich langen Geschichte. Die Vorbeugung beginnt im Kindesalter. Es ist die Aufgabe der Erziehung, dass wir den Kindern beibringen, dass manche Dinge schwierig sind, wir an Herausforderungen wachsen dürfen. Dass man nicht alles gleich bekommt, sondern warten können muss. Dass man eine große Aufgabe angeht wie Beppo Straßenkehrer – Stück für Stück, und nicht in Schockstarre vor der Größe der Herausforderung verzweifelt. Es ist Aufgabe der Erziehung, Menschen beizubringen, dass Negatives zum Leben gehört. Dass Menschen krank werden, sterben, Unfälle passieren und sonstige grauenvolle Dinge, die alles verändern können, dass das zum Schicksal gehören kann. Es ist Aufgabe der Erziehung, den Kindern ein gerüttelt Maß an Frustrationstoleranz beizubringen und ihnen nicht alle Lösungen der Lebensfragen auf dem Silbertablett anbietet. Man muss früh lernen, sich für etwas zu engagieren und dass das Leben eine Leihgabe ist, die wir mit Würde tragen.
Es ist Aufgabe der Pädagogik, aufzuhören, am Heftrand mit roter Tinte „f“ für falsch hinzuschreiben, denn wir Menschen lernen von der 1. Klasse an, dass wir Fehler vermeiden müssen. Wenn wir Fehler machen, sind wir mangelhaft bis ungenügend. Es ist Aufgabe der Pädagogik, die Kultur des Scheiterns zu üben. Dass Scheitern zum Erfolg gehört wie Blatt zu Baum müsste klar werden, ist es aber nicht. Es ist Aufgabe der Pädagogik und der Erziehung, Wertschätzung in das Kinderherz zu pflanzen, das Leben als hohen Wert einzustufen, zu üben, wie man freundlich und nachsichtig mit sich und anderen umgeht.
Es gehört zu den Aufgaben der ersten Lebensjahre, die Grundlage fürs Lieben zu lernen, ein Hauptgrund für Suizidalität, das Gefühl des Ungeliebtseins oder niemanden lieben Könnens und Dürfens. Wer von klein auf geliebt ist und lieben darf, geht aufrechter durchs Leben. Wer an Vorbildern entlangranken darf, lernt, dass auch Helden Macken haben. Wer sich im Scheitern übt, begreift, dass wir durch das Überwinden von Hindernissen die besten Seelenmuckis holen. Wer lösungsorientiert aufwächst, versteht, dass das Beweinen einer niemals so dagewesenen goldenden Vergangenheit nicht weiterbringt.
Es ist Stärke, Schwäche zuzugeben und sich Hilfe zu holen. Es ist souverän, sagen zu können, dass man gerade keinerlei Plan mehr hat und total verwirrt ist. Es ist menschlich, zu versagen. Es ist unmenschlich, wenn wir schon Kindern eine andere Welt vorspielen. Eine, in der etwas zu funktionieren hat. In der wir immer alle schneller, höher, weiter gehen. Eine, in der Scheitern ein Fehler und traurige Gefühle schädlich sind. Eine, in der alle supergut drauf, Leistungsträger und Lichtgestalten sind und man selbst ein kleiner Wicht im Vergleich. Das Vergleichen muss eliminiert werden.
Es gibt nur eine Vorbeugung und die bedeutet: erkennen wir, dass wir suchende, irrende Wesen sind. Dass wir von klein auf liebenswert sind aus dem einfachen Grund, weil wir existieren. Dass das Leben eine megakrasse Sache sein kann. Dass Menschwerdung ein Riesending ist und man immer wieder die dunklen Momente haben wird und das auch darf, in denen sich nichts bewegt. Da brauchen wir die offenen Herzen und Ohren, die Hände, die sich dem Gebeugten entgegenstrecken. Stets ist die Zukunft da, bereit, neu zu beginnen. Es ist unsere Aufgabe, uns das immer wieder selbst bewusst zu machen und dafür zu sorgen, dass auch die Menschen um uns herum sich trauen, Laut zu geben, wenn sie diese Zukunftshand nicht mehr wahrnehmen.
Das Leben ist eine kostbare Angelegenheit. Wir dürfen es zu unserem machen. Der Weg entsteht, indem wir ihn gehen. Mal schnell, mal langsam, mal drei Schritte vor und fünf zurück, weil es eben so ist. Aber nicht in der Verzweiflung verharren, die uns keine Wahl mehr zu lassen scheint. Nicht, solange wir aus viel mehr bestehen als nur einem Körper.
Lernen wir, ehrlich zu uns und anderen zu sein. Lernen wir auszusprechen, wenn wir nicht mehr weiter wissen oder können. Andere haben vielleicht auch keine Lösung, aber sie sind da für uns, wenn das Dunkel uns überkommt. Das reicht. Bitten wir um Hilfe und nehmen wir sie an. Wer weiß, was das Leben noch in seiner Wundertüte für uns bereithält.
Allen einen liebevollen Venustag. Achten wir gut aufeinander und schauen wir hin statt weg. Allein das kann manches Leben retten.
Dieses wunderbare Blumenfoto hat Manuela gemacht.