Der Geruchssinn: Ohne Einatmen kein Riechen. Und weil wir atmen MÜSSEN, bleibt uns das Riechen leider nicht erspart. Der Geruch ist quasi zwingend wahrzunehmen. Spannend ist, dass das Riechen etwas Überwältigendes hat. Riechen wir an Senf, reagieren unsere Schleimhäute sofort mit Husten. Das Gebiet im Körper, mit dem wir riechen, ist rund 5 Quadratzentimeter groß.
Wir riechen über zwei Wege, einmal über die retronasale Geruchswahrnehmung über den Rachenraum und die orthonasale über die Nase. Die rund 30.000 Riechzellen auf unserer Riechschleimhaut spalten sich auf in feine Härchen, sogenannte Cilien, an deren Oberfläche Rezeptoren sitzen, die bestimmte Gerüche aufnehmen (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Dockt ein Duftmolekül an, wie die empfangene Information in einen elektrischen Reiz umgewandelt und unter Umgehung des Neocortex direkt ins limbische System eingespeist.
Im limbischen System befindet sich das sogenannte Riechhirn (Rhinenzephalon). Das limbische System ist im Grunde unser urzeitliches Säugetiergehirn, in dem unsere Gefühle und Erinnerungen abgespeichert werden. Für Sigmund Freud war das der Sitz des „Unbewussten“. Die Cilien und alle Riechzellen übrigens, und das ist hochinteressant, weil sonst keine Gehirnzelle so etwas zeigt, werden alle 30 Tage erneuert. Sie sind die einzigen Hirnzellen, die nach dem Absterben nachgebildet werden. Düfte und Erinnerungen daran sind lebenslang gespeichert. Das Riechen verbindet uns also in Sekundenbruchteilen mit Gefühlen und Erinnerungen.
Eine Hilfe für den Alltag: Parkinson- oder Alzheimer-Patienten entwickeln etwa fünf Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit Riechstörungen, sie können Vanille oder Oreganumduft nicht mehr wahrnehmen. Wenn Patienten an einer Anosmie, dem Verlust des Geruchssinns leiden, können sie starke Gerüche über den Trigeminusnerv im Gesicht wahrnehmen. Hat der Patient Glück und die Störung des Riechnervs ist vorübergehend (z.B. durch Entzündung oder gerade bei Corona), kann mit Training das Riechen wieder erlernt werden, weil sich unsere Sinneshärchen erneuern.
Unsere Nase teilt ein in: riecht gut – stinkt, das ist sofort mit einem Urteil verbunden, insofern hat unsere eigene Moral auch etwas mit unserem Geruchssinn zu tun. Etwas ist „igitt, bä“ und schon ist eine Theorie fertig. Im ägyptischen Totenbuch treten Götter aus der Sonnensphäre auf den Toten zu, der in die geistige Welt geführt wird, riechen an ihm! Sie nehmen dadurch sofort seine „Moral“ wahr. Die schnellste Verkleidung erreichen wir, wenn wir uns eine Nase aufsetzen – sie ist das typischste Erkennungsmerkmal des Menschen, in unserer Nase sind wir ganz Mensch.
Schlecht gelüftete Räume, Gestank aller Art stört den Geruchssinn, wohingegen er durch alles gefördert wird, was „gut“ riecht.
Danke an Ursula für das starke Foto!