Wider Unruhe und Hast

In der Mittwochsübung sind wir eingeladen, unser Leben einzurichten. Wie erstaunlich, oder? Wir richten Häuser und Arbeitsplätze, Computer oder Kinderzimmer ein, aber das Leben? Bereits das ist ein spannender Punkt. Rudolf Steiner ist der Meinung, dass man sein Leben einrichten sollte. Ich teile diese Meinung. Wir leben oft so in den Tag hinein ohne Sinn und Verstand, lassen Timelines verstreichen, weil wir angeblich nur unter maximalem Druck gut arbeiten können und bringen so Unruhe und Hast ins Leben.

Am Wochenende zitierte ich Beppo Straßenkehrer in einem Seminar, weil die Schüler Sorge trugen, mit der Menge an Lernstoff nicht klarzukommen. Ja. Wenn man alles auf einmal sieht, mag das schnell geschehen, doch wenn ich mir das „einrichte“, einen Plan aufstelle und genügend kluge Puffer berücksichtige, erarbeite ich mir im Lauf der Zeit auch den größten Berg, schaffe ich auch schwierige Aufgaben. Beppo Straßenkehrer in Michael Endes „Momo“ ist ein Meister „der Einrichtung“, denn „dann kommt man nicht aus der Puste“, vermeidet im Steiner-Sinne Unruhe und Hast.

Das Leben als einen Entwicklungsweg sehen – das hat ebenfalls was. Früher gab es Mysterienschulen. Die Mysten durchschritten jahrelang Trainingseinheiten. Sie übten sich in vielem, was den Willen schult, die Demut fördert. Sie hatten Hierophanten, die ihre Entwicklung begleiteten und stets die Messlatte entsprechend der Entwicklung des Lernenden höherlegten, so dass die Herausforderungen wuchsen und damit nach und nach Kraft aufgebaut wurde. Am Ende gab es eine letzte große Prüfung, in der der Myste maximal auf seine innere Stärke getestet wurde.

Joseph Beuys hat vor Jahren gesagt, heute fände die „Einweihung am Hauptbahnhof“ statt, sprich: unser Alltagsleben darf durchaus als ein Einweihungsprozess verstanden werden. Was übrigens bereits im Wort Prozess enthalten ist, denn procedere heißt voranschreiten, es impliziert bereits eine Richtung.

Nicht im äußeren Tand aufgehen – zu Steiners Zeiten gab es gerade mal Telefon und elektrisches Licht, die Industrie befand sich im Boom. Kein Internet. Keine Handys, kein Fernsehen. Wie viel äußeren Tand bietet unsere Welt! Schrott in jeder Form, geistiger Müll, seelische Überfrachtung bei körperlicher Inaktivität – langfristig Verdummung und Entfernung von allem Wesentlichen auf sämtlichen Ebenen, wenn man es nicht schafft, sich entsprechend Freiräume von all dem (medialen) Wahnsinn zu gönnen. Hand aufs Herz: wie oft verlieren wir uns im äußeren Tand? Wie häufig gönnen wir uns das, anstatt an unserer eigenen Entwicklung zu arbeiten?

Die Mittwoche, die mit Merkur (wie viele Sprachen noch zeigen übrigens) verbunden sind, dem beweglichsten der Götter, laden dazu ein, unser Leben einzurichten. Schaffen wir uns Ecken der Meditation, der Würde, der Werte, einen Tisch für Gemeinschaft, ein Lesezimmer, einen Raum für Bewegung, einen für Kunst und Musik, einen für geistige Arbeit und einen, in dem wir komplett Platz lassen für alles, was werden mag und in dem wir uns mit unseren Schatten befassen dürfen. Richten wir unser Leben ein und achten wir darauf, an diesem Tag wenig dem Tand anheimzufallen.

Allen einen bewegenden Merkurtag.

 

Sigrid hat sich von der Wertheimer Burgruine begeistern lassen. Dankeschön!

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