An Webers Text über das wachsende Brot in der Winternacht habe ich diese Woche schon ein paar Mal gedacht, wenn Menschen sehr verzweifelt in der Sprechstunde saßen. Viele Ängste sind vorhanden. Um den Arbeitsplatz, die Gesundheit, kranke, schwache, alte Familienmitglieder. Kälte, Dunkelheit, Nebel, der sich in die Knochen frisst und dort eine Kälte platziert, die viele auch im Außen wahrnehmen können. Der Tonfall ist harsch, Nerven angespannt. Mitteilungen der Bundesregierung werden erwartet wie Gerichtsurteile. Davon machen viele ihren Tag abhängig, ob sie die Ärmel des Widerstands aufkrempeln, in die Resignation gehen oder irgendwo dazwischen eine Meinungsbildung versuchen. Immer häufiger höre ich: „Wenn das nur endlich mal rum wäre. Ich möchte es wieder normal haben.“
Es ist schwer, wenn man gegen Verzweiflung wenig Fakten setzen kann. Menschen sind verwirrt, wenn sie mit den spannenden Herausforderungen konfrontiert werden, die die Zeit bietet. Die Komfortzone war nicht für alle komfortabel, aber vertraut. Unbekanntes löst Angst aus. Seit vielen Jahren bemühen sich Menschen rund um den Globus, das Bewusstsein auf Missstände zu richten, egal in welchem Bereich. Ich nehme daraus die Erkenntnis mit: alle Menschen möchten etwas Sinnvolles arbeiten, ihren Beitrag zum Gelingen leisten und in Frieden mit ihren Lieben leben.
Viele Stimmen haben auf klimatische Probleme hingewiesen. Auf die Folgen unbedachten Wachstums und Konsums von wenigen reichen zu Ungunsten anderer Länder. Studien haben gezeigt, dass unsere Kinder nicht gut ausgebildet werden, weil sie wenig dafür lernen, was man Leben nennt. Wir haben Einserabiturienten hochgezüchtet und vergessen, dass die Mitte der Gesellschaft funktionierendes Handwerk ist. Außer Acht gelassen haben wir die Landwirtschaft. Düngereinsatz, Erosion, Rodung zugunsten billiger Massenprodukte haben einen Großteil der Nahrungsgrundlage zerstört. Die Erwärmung mit ihren Folgen ist seit Jahrzehnten bekannt ohne allzu große Folgen.
Nun summieren sich all diese Dinge und zeigen auf, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings durchaus einen Tsunami auslösen kann. Was machen wir? Wir sitzen da und jammern um unsere nicht stattgefundenen Urlaube, zählen Klopapiervorräte und wollen Weihnachten as usual.
Ich finde, dass die Situation gerade sehr komplex und schwierig ist. Wir sind damit alle überfordert. Alle haben Angst, alle machen sich Sorgen, so gut wie alle sind müde, erschöpft und unruhig. Es nutzt jedoch nichts. Mit Jammern und Klagen, Nölen, Rückzug oder Energievergeudung durch gegenseitiges Beschimpfen lösen wir die Themen der Zeit nicht, sondern machen uns nieder, suchen Schuldige und führen Maskengefechte, anstatt auf die wirklichen Punkte, auf die es ankommt, zu blicken. Damit zerstören wir Kraft, die anderweitig gebraucht wird.
Herzliche Einladung an alle: Kommt heraus aus der Angst. Sie ist der schlechteste Ratgeber. Keiner weiß alles oder kann die Komplexität der Dinge einschätzen. Nur gemeinsam, Hand in Hand, können wir die Herausforderungen dieser Zeit lösen und auf gute Wege bringen.
Wir werden lernen, mit Corona zu leben. Wir werden lernen, die Herausforderungen anzunehmen. Wir werden richtig viele Fehler machen und auch daraus lernen, wenn wir begreifen, dass keiner Patentlösungen hat, aber der Schwarm in der Lage ist, sein Wissen zu bündeln. Wir werden unsere Gewohnheiten überprüfen und manche Bequemlichkeit hinter uns lassen müssen. Wir werden die Erfahrung machen, dass gemeinsames Arbeiten Freude macht. Dass alte Berufe durch neue, alte Lösungsstrategien durch andere, alte Beziehungsmuster durch veränderte ersetzt werden dürfen und das nicht schlechter ist, anders eben. Wir werden mit allem fertig, wenn wir aufhören, uns gegenseitig fertig zu machen.
Wo ist der Gemeinschaftssinn des Frühlings abgeblieben? Es ist hohe Zeit, Verantwortung auf eine gute Weise zu übernehmen. Zeit, sich als Mensch zu zeigen. Zeit, das Herz zu öffnen und sich klarzumachen: niemand überblickt die Komplexität. Niemand hat perfekte Lösungen. Niemand ist ohne Irrung und Wirrung. Wer etwas weiß, wer etwas kann, wer Ideen hat, stelle es in die Welt, damit wir lernen, damit wir an einem Menschenstrang ziehen. Alles andere ist Zerfledderung jeglicher Moral, Ethik, Zerstörung von Mut, Menschlichkeit und Benehmen. Wo bleibt die Würde? Wo die Liebe? Wo das Vertrauen? DAVON ernährt sich unser Mut, davon werden wir stark und gehen neue Wege, auch wenn sie uns unbekannt sind und Angst machen.
Allen an diesem Jupitertag ganz viel Mut, Freude, ein warmes Lächeln. Lassen wir uns berühren von Menschen, die unermüdlich die Lichter hochhalten, damit alle den nächsten Schritt des Weges sehen können. Achten wir auf uns, auf andere liebevoll. Und befleißigen wir uns eines Tonfalls, der verhindert, dass wir und andere das Gesicht verlieren, die Lebensfreude und das Vertrauen, dass sich für diese Menschheit das Aufstehen und Losgehen lohnt. Es ist Zeit, Zukunft einzuladen, sie schickt permanent Nachrichten, doch unser Ohr dafür ist verstopft durch Hass, Polemik und unangemessenes Verhalten. Stay strong. Licht macht jede noch so kleine Kerze.
Das Foto entstand vor zwei Jahren um diese Zeit in Oy.